Der Verschollene
geöffnet hielt während er den freien linken Arm seitwärts wagrecht und steif ausstreckte, was höchst feierlich aussah. Aber Karl hatte umsonst gehofft, hinter dieser vornehmen Gesellschaft unbemerkt hinauszukommen. Schon faßte ihn der Oberportier bei der Hand und zog ihn zwischen zwei Herren hindurch, die er um Verzeihung bat, zu sich hin.
"Das soll eine Viertelminute gewesen sein", sagte er und sah Karl von der Seite an, als beobachte er eine schlecht gehende Uhr. "Komm einmal her", sagte er dann und führte ihn in die große Portiersloge, die Karl zwar schon längst einmal anzusehen Lust gehabt hatte, in die er aber jetzt von dem Portier geschoben nur mit Mißtrauen eintrat. Er war schon in der Tür, als er sich umwendete und den Versuch machte, den Oberportier wegzuschieben und wegzukommen. "Nein, nein, hier geht man hinein", sagte der Oberportier und drehte Karl um. "Ich bin doch schon entlassen", sagte Karl und meinte damit, daß ihm im Hotel niemand mehr etwas zu befehlen habe. "Solange ich Dich halte bist Du nicht entlassen", sagte der Portier, was allerdings auch richtig war.
Karl fand schließlich auch keine Ursache, warum er sich gegen den Portier wehren sollte. Was konnte ihm denn auch im Grunde noch geschehn? Überdies bestanden die Wände der Portiersloge ausschließlich aus ungeheueren Glasscheiben,
-190-
durch die man die Menge der im Vestibul
gegeneinanderströmenden Menschen deutlich sah, als wäre man mitten unter ihnen. Ja es schien in der ganzen Portierloge keinen Winkel zu geben, in dem man sich vor den Augen der Leute verbergen konnte. So eilig es dort draußen die Leute zu haben schienen, denn mit ausgestrecktem Arm, mit gesenktem Kopf, mit spähenden Augen, mit hochgehaltenen Gepäckstücken suchten sie ihren Weg, so versäumte doch kaum einer einen Blick in die Portiersloge zu werfen, denn hinter deren Scheiben waren immer Ankündigungen und Nachrichten ausgehängt, die sowohl für die Gäste als für das Hotelpersonal Wichtigkeit hatten. Außerdem aber bestand noch ein unmittelbarer Verkehr der Portiersloge mit dem Vestibul, denn an zwei großen Schiebefenstern saßen zwei Unterportiere und waren unaufhörlich damit beschäftigt Auskünfte in den
verschiedensten Angelegenheiten zu erteilen. Das waren geradezu überbürdete Leute und Karl hätte behaupten wollen, daß der Oberportier, wie er ihn kannte, sich in seiner Laufbahn um diese Posten herumgewunden hatte. Diese zwei
Auskunftserteiler hatten – von außen konnte man sich das nicht richtig vorstellen – in der Öffnung des Fensters immer zumindest zehn fragende Gesichter vor sich. Unter diesen zehn Fragern die immerfort wechselten war oft ein Durcheinander von Sprachen, als sei jeder einzelne von einem andern Lande abgesendet. Immer fragten einige gleichzeitig, immer redeten außerdem einzelne untereinander. Die meisten wollten etwas aus der Portiersloge holen oder etwas dort abgeben, so sah man immer auch ungeduldig fuchtelnde Hände aus dem Gedränge ragen. Einmal hatte einer ein Begehren wegen irgendeiner Zeitung, die sich unversehens von der Höhe aus entfaltete und für einen Augenblick alle Gesichter verhüllte. Allem diesen mußten nun die zwei Unterportiere standhalten. Bloßes Reden hätte für ihre Aufgabe nicht genügt, sie plapperten, besonders der eine, ein düsterer Mann mit einem das ganze Gesicht
-191-
umgebenden dunklen Bart, gab die Auskünfte ohne die geringste Unterbrechung. Er sah weder auf die Tischplatte, wo er fortwährend Handreichungen auszuführen hatte, noch auf das Gesicht dieses oder jenes Fragers, sondern ausschließlich starr vor sich, offenbar um seine Kräfte zu sparen und zu sammeln.
Übrigens störte wohl sein Bart ein wenig die Verständlichkeit seiner Rede und Karl konnte in dem Weilchen, während dessen er bei ihm stehen blieb, sehr wenig von dem Gesagten auffassen, wenn es auch möglicherweise trotz des englischen Beiklanges gerade fremde Sprachen waren, die er gebrauchen mußte.
Außerdem beirrte es daß sich eine Auskunft so knapp an die andere anschloß und in sie übergieng, so daß oft noch ein Frager mit gespanntem Gesicht zuhorchte, da er glaubte, es gehe noch um seine Sache, um erst nach einem Weilchen zu merken, daß er schon erledigt war. Gewöhnen mußte man sich auch daran, daß der Unterportier niemals bat, eine Frage zu wiederholen, selbst wenn sie im Ganzen verständlich und nur ein wenig undeutlich gestellt war, ein kaum merkliches Kopfschütteln verriet dann,
Weitere Kostenlose Bücher