Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Verschollene

Der Verschollene

Titel: Der Verschollene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
Vom Netzwerk:
daß er nicht die Absicht habe, diese Frage zu beantworten und es war Sache des Fragestellers, seinen eigenen Fehler zu erkennen und die Frage besser zu formulieren.
    Besonders damit verbrachten manche Leute sehr lange Zeit vor dem Schalter. Zur Unterstützung der Unterportiere war jedem ein Laufbursche beigegeben, der im gestreckten Lauf von einem Bücherregal und aus verschiedenen Kästen alles beizubringen hatte was der Unterportier gerade benötigte. Das waren die bestbezahlten wenn auch anstrengendsten Posten, die es im Hotel für ganz junge Leute gab, in gewissem Sinne waren sie auch noch ärger daran als die Unterportiere, denn diese hatten bloß nachzudenken und zu reden, während diese jungen Leute gleichzeitig nachdenken und laufen mußten. Brachten sie einmal etwas unrichtiges herbei, so konnte sich natürlich der Unterportier in der Eile nicht damit aufhalten, ihnen lange Belehrungen zu geben, er warf vielmehr einfach das, was sie
    -192-

    ihm auf den Tisch legten, mit einem Ruck vom Tisch herunter.
    Sehr interessant war die Ablösung der Unterportiere, die gerade kurz nach dem Eintritt Karls stattfand. Eine solche Ablösung mußte natürlich wenigstens während des Tages öfters stattfinden, denn es gab wohl kaum einen Menschen, der es länger als eine Stunde hinter dem Schalter ausgehalten hätte.
    Zur Ablösungszeit ertönte nun eine Glocke und gleichzeitig traten aus einer Seitentüre die zwei Unterportiere, die jetzt an die Reihe kommen sollten, jeder von seinem Laufjungen gefolgt. Sie stellten sich vorläufig untätig beim Schalter auf und betrachteten ein Weilchen die Leute draußen, um festzustellen, in welchem Stadium sich gerade die augenblickliche Fragebeantwortung befand. Schien ihnen der Augenblick passend, um einzugreifen, klopften sie dem abzulösenden Unterportier auf die Schulter, der, trotzdem er sich bisher um nichts, was hinter seinem Rücken vorgieng, gekümmert hatte, sofort verstand und seinen Platz freimachte. Das ganze gieng so rasch, daß es oft die Leute draußen überraschte und sie aus Schrecken über das so plötzlich vor ihnen auftauchende neue Gesicht fast zurückwichen. Die abgelösten zwei Männer streckten sich und begossen dann über zwei bereitstehenden Waschbecken ihre heißen Köpfe, die abgelösten Laufjungen durften sich aber noch nicht strecken, sondern hatten noch ein Weilchen damit zu tun, die während ihrer Dienststunden auf den Boden geworfenen Gegenstände aufzuheben und an ihren Platz zu legen.

    Alles dieses hatte Karl mit der angespanntesten
    Aufmerksamkeit in wenigen Augenblicken in sich
    aufgenommen und mit leichten Kopfschmerzen folgte er still dem Oberportier der ihn weiterführte. Offenbar hatte auch der Oberportier den großen Eindruck beobachtet, den diese Art der Auskunftserteilung auf Karl gemacht hatte, und er riß plötzlich an Karls Hand und sagte: "Siehst Du, so wird hier gearbeitet."
    -193-

    Karl hatte ja allerdings hier im Hotel nicht gefaulenzt, aber von solcher Arbeit hatte er doch keine Ahnung gehabt, und fast völlig daran vergessend, daß der Oberportier sein großer Feind war, sah er zu ihm auf und nickte stumm und anerkennend mit dem Kopf. Das schien dem Oberportier aber wieder eine Überschätzung der Unterportiere und vielleicht eine Unhöflichkeit gegenüber seiner Person zu sein, denn, als hätte er Karl zum Narren gehalten, rief er ohne Besorgnis, daß man ihn hören könnte: "Natürlich ist dieses hier die dümmste Arbeit im ganzen Hotel; wenn man eine Stunde zugehört hat, kennt man so ziemlich alle Fragen die gestellt werden und den Rest braucht man ja nicht zu beantworten. Wenn Du nicht frech und ungezogen gewesen wärest, wenn Du nicht gelogen, gelumpt, gesoffen und gestohlen hättest, hätte ich Dich vielleicht bei so einem Fenster anstellen können, denn dazu kann ich ausschließlich nur vernagelte Köpfe brauchen. " Karl überhörte gänzlich die Beschimpfung soweit sie ihn betraf, so sehr war er darüber empört, daß die ehrliche und schwere Arbeit der Unterportiere, statt anerkannt zu werden, verhöhnt wurde, und überdies verhöhnt von einem Mann, der, wenn er es gewagt hätte sich einmal zu einem solchen Schalter zu setzen, gewiß nach paar Minuten unter dem Gelächter aller Frager hätte abziehn müssen. "Lassen Sie mich", sagte Karl, seine Neugierde inbetreff der Portierloge war bis zum Übermaß gestillt, "ich will mit Ihnen nichts mehr zu tun haben. " "Das genügt nicht, um fortzukommen", sagte der Oberportier,

Weitere Kostenlose Bücher