Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Verschollene

Der Verschollene

Titel: Der Verschollene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
Vom Netzwerk:
Zucken einer einzigen großen Ungeduld: "Nein Karl nein, nein!
    Das wollen wir uns nicht einreden. Gerechte Dinge haben auch ein besonderes Aussehn und das hat, ich muß es gestehn, Deine Sache nicht. Ich darf das sagen und muß es auch sagen, denn ich bin es, die mit dem besten Vorur teil für Dich hergekommen ist.
    Du siehst, auch Therese schweigt. " (Aber sie schwieg doch nicht, sie weinte.)

    Die Oberköchin stockte in einem plötzlich sie
    überkommenden Entschluß und sagte: "Karl, komm einmal her"
    und als er zu ihr gekommen war – gleich vereinigten sich hinter seinem Rücken der Oberkellner und der Oberportier zu lebhaftem Gespräch – umfaßte sie ihn mit der linken Hand, gieng mit ihm und der willenlos folgenden Therese in die Tiefe des Zimmers und dort mit beiden einigemal auf und ab, wobei sie sagte: "Es ist möglich, Karl, und darauf scheinst Du zu vertrauen, sonst würde ich Dich überhaupt nicht verstehn, daß eine Untersuchung Dir in einzelnen Kleinigkeiten recht geben wird. Warum denn nicht Du hast vielleicht tatsächlich den Oberportier gegrüßt. Ich glaube es sogar bestimmt, ich weiß auch, was ich von dem Oberportier zu halten habe, Du siehst ich rede selbst jetzt noch offen zu Dir. Aber solche kleine Rechtfertigungen helfen Dir gar nichts. Der Oberkellner, dessen Menschenkenntnis ich im Laufe vieler Jahre zu schätzen gelernt habe und welcher der verläßlichste Mensch ist, den ich überhaupt kenne, hat Deine Schuld klar ausgesprochen und die
    -185-

    scheint mir allerdings unwiderleglich. Vielleicht hast Du bloß unüberlegt gehandelt, vielleicht aber bist Du nicht der, für den ich Dich gehalten habe. Und doch", damit unterbrach sie sich gewissermaßen selbst und sah nur flüchtig nach den beiden Herren zurück, "kann ich es mir noch nicht abgewöhnen, Dich für einen im Grunde anständigen Jungen zu halten. "

    "Frau Oberköchin! Frau Oberköchin", mahnte der Oberkellner, der ihren Blick aufgefangen hatte.

    "Wir sind gleich fertig", sagte die Oberköchin und redete nun schneller auf Karl ein: "Höre Karl, so wie ich die Sache übersehe, bin ich noch froh, daß der Oberkellner keine Untersuchung einleiten will, denn wollte er sie einleiten, ich müßte es in Deinem Interesse verhindern. Niemand soll erfahren, wie und womit Du den Mann bewirtet hast, der übrigens nicht einer Deiner früheren Kameraden gewesen sein kann wie Du vorgibst, denn mit denen hast Du ja zum Abschied großen Streit gehabt, so daß Du nicht jetzt einen von ihnen traktieren wirst. Es kann also nur ein Bekannter sein, mit dem Du Dich leichtsinniger Weise in der Nacht in irgendeiner städtischen Kneipe verbrüdert hast. Wie konntest Du mir, Karl, alle diese Dinge verbergen? Wenn es Dir im Schlafsaal vielleicht unerträglich war und Du zuerst aus diesem unschuldigen Grunde mit Deinem Nachtschwärmen angefangen hast, warum hast Du denn kein Wort davon gesagt, Du weißt ich wollte Dir ein eigenes Zimmer verschaffen und habe darauf geradezu erst über Deine Bitten verzichtet. Es scheint jetzt, als hättest Du den allgemeinen Schlafsaal vorgezogen weil Du Dich dort ungebundener fühltest. Und Dein Geld hattest Du doch in meiner Kassa aufgehoben und die Trinkgelder brachtest Du mir jede Woche, woher um Gotteswillen, Junge, hast Du das Geld für Deine Vergnügungen genommen und woher wolltest Du jetzt das Geld für Deinen Freund holen? Das sind natürlich
    -186-

    lauter Dinge, die ich wenigstens jetzt dem Oberkellner gar nicht andeuten darf, denn dann wäre vielleicht eine Untersuchung unausweichlich. Du mußt also unbedingt aus dem Hotel undzwar so schnell als möglich. Geh direkt in die Pension Brenner – Du warst doch schon mehrmals mit Therese dort – sie werden Dich auf diese Empfehlung hin umsonst aufnehmen" –
    und die Oberköchin schrieb mit einem goldenen Crayon, den sie aus der Bluse zog, einige Zeilen auf eine Visitkarte, wobei sie aber die Rede nicht unterbrach – "Deinen Koffer werde ich Dir gleich nachschicken, Therese, lauf doch in die Garderobe der Liftjungen und pack seinen Koffer", (aber Therese rührte sich noch nicht, sondern wollte, wie sie alles Leid ausgehalten hatte, nun auch die Wendung zum Bessern, welche die Sache Karls dank der Güte der Oberköchin nahm, ganz miterleben).

    Jemand öffnete ohne sich zu zeigen ein wenig die Tür und schloß sie gleich wieder. Es mußte offenbar Giacomo gegolten haben, denn dieser trat vor und sagte: "Roßmann ich habe Dir etwas auszurichten." "Gleich", sagte

Weitere Kostenlose Bücher