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Der Verschollene

Der Verschollene

Titel: Der Verschollene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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früher vom Balkon heruntergeschaut hatte. Ihr rotes Kleid hatte sich unten ein wenig verzogen und hieng in einem großen Zipfel bis auf den Boden, man sah ihre Beine fast bis zu den Knien, sie trug dicke weiße Wollstrümpfe, Schuhe hatte sie keine. "Das ist eine Hitze, Delamarche", sagte sie, wendete das Gesicht von der Wand, hielt ihre Hand lässig in Schwebe gegen Delamarche hin, der sie ergriff und küßte. Karl sah nur ihr Doppelkinn an, das bei der Wendung des Kopfes auch mitrollte. "Soll ich den Vorhang vielleicht hinaufziehn lassen?" fragte Delamarche. "Nur das nicht", sagte sie mit geschlossenen Augen und wie verzweifelt,
    "dann wird es ja noch ärger. " Karl war zum Fußende des
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    Kanapees ge treten um die Frau genauer anzusehn, er wunderte sich über ihre Klagen, denn die Hitze war gar nicht außerordentlich. "Warte, ich werde es Dir ein wenig bequemer machen", sagte Delamarche ängstlich, öffnete oben am Hals paar Knöpfe und zog dort das Kleid auseinander, so daß der Hals und der Ansatz der Brust frei wurde und ein zarter gelblicher Spitzensaum des Hemdes erschien. "Wer ist das", sagte die Frau plötzlich und zeigte mit dem Finger auf Karl,
    "warum starrt er mich so an?" "Du fängst bald an Dich nützlich zu machen", sagte Delamarche und schob Karl beiseite während er die Frau mit den Worten beruhigte: "Es ist nur der Junge, den ich zu Deiner Bedienung mitgebracht habe. " "Aber ich will doch niemanden haben", rief sie, "warum bringst Du mir fremde Leute in die Wohnung. " "Aber die ganze Zeit wünschst Du Dir doch eine Bedienung", sagte Delamarche und kniete nieder; auf dem Kanapee war trotz seiner großen Breite neben Brunelda nicht der geringste Platz. "Ach Delamarche", sagte sie, "Du verstehst mich nicht und verstehst mich nicht. " "Dann versteh ich Dich also wirklich nicht", sagte Delamarche und nahm ihr Gesicht zwischen beide Hände. "Aber es ist ja nichts geschehn, wenn Du willst geht er augenblicklich fort. " "Wenn er schon einmal hier ist, soll er bleiben", sagte sie nun wieder und Karl war ihr in seiner Müdigkeit für diese vielleicht gar nicht freundlich gemeinten Worte so dankbar, daß er immer in undeutlichen Gedanken an diese endlose Treppe, die er nun vielleicht gleich wieder hätte abwärtssteigen müssen, über den auf seiner Decke friedlich schlafenden Robinson hinwegtrat und trotz alles ärgerlichen Händefuchtelns des Delamarche sagte:
    "Ich danke Ihnen jedenfalls dafür, daß Sie mich ein wenig noch hier lassen wollen. Ich habe wohl schon vierundzwanzig Stunden nicht geschlafen, dabei genug gearbeitet und verschiedene Aufregungen gehabt. Ich bin schrecklich müde.
    Ich weiß gar nicht recht, wo ich bin. Wenn ich aber ein paar Stunden geschlafen habe können Sie mich ohne jede sonstige
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    Rücksichtnahme fortschicken und ich werde gerne gehn. " "Du kannst überhaupt hier bleiben", sagte die Frau und fügte ironisch hinzu: "Platz haben wir ja in Überfluß, wie Du siehst. " "Du mußt also fortgehn", sagte Delamarche, "wir können Dich nicht brauchen. " "Nein, er soll bleiben", sagte die Frau nun wieder im Ernste. Und Delamarche sagte zu Karl wie in Ausführung dieses Wunsches: "Also leg Dich schon irgendwo hin. " "Er kann sich auf die Vorhänge legen, aber er muß sich die Stiefel ausziehn, damit er nichts zerreißt. " Delamarche zeigte Karl den Platz, den sie meinte. Zwischen der Türe und den drei Schränken war ein großer Haufen von verschiedenartigsten Fenstervorhängen hingeworfen. Wenn man alle regelmäßig zusammengefaltet, die schweren zu unterst, und weiter hinauf die leichtern gelegt und schließlich die verschiedenen in den Haufen gesteckten Bretter und Holzringe herausgezogen hätte, so wäre es ein erträgliches Lager geworden, so war es nur eine schaukelnde und gleitende Masse, auf die sich aber Karl trotzdem augenblicklich legte, denn zu besondern Schlafvorbereitungen war er zu müde und mußte sich auch mit Rücksicht auf seine Gastgeber hüten, viel Umstände zu machen.

    Er war schon fast im eigentlichen Schlafe, da hörte er einen lauten Schrei, erhob sich und sah die Brunelda aufrecht auf dem Kanapee sitzen, die Arme weit ausbreiten und Delamarche, der vor ihr kniete, umschlingen. Karl, dem der Anblick peinlich war, lehnte sich wieder zurück und versenkte sich in die Vorhänge zur Fortsetzung des Schlafes. Daß er hier auch nicht zwei Tage aushalten würde, schien ihm klar zu sein, desto nötiger aber war es sich zuerst gründlich auszuschlafen, um

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