Der Visionist
sich ihm gegenüber nieder. „Ich habe gerade den Vorsitz der Gesellschaft übernommen. Es stehen etliche wichtige Dinge an, mit denen ich mich recht schnell befassen muss.“
Er nickte und wartete, dass sie weitersprach. Dass er selbst ebenfalls mit ihr hatte reden wollen, sagte er nicht. Sein Anliegen konnte warten.
Sie zog ein Päckchen Zigaretten aus der Tasche, klopfte sich eine heraus und bot sie dann ihm an. In Wien rauchten so viele Menschen, dass er ernsthaft übers Wiederanfangen nachdachte. „Ich habe aufgehört“, sagte er. „Aber darf ich Ihnen …“ Er griff sich nun seinerseits in die Tasche.
Sie hielt ihre Zigarette an die ruhige orange Flamme seines Feuerzeugs. „Sie haben aufgehört und haben trotzdem Feuer dabei?“
„Ich möchte mir beweisen, dass ich auch das Nicht-Rauchen unter Kontrolle habe, und nicht andersherum.“
Sie lächelte.
„Nun … Wie kann ich Ihnen helfen, Dr. Aldermann?“
„Ich höre, die USA sind der größte Umschlagplatz für gestohlene Kunst. Stimmt das?“
„Einer der großen Umschlagplätze, ja.“
Die Kombination von einem weitgehend nicht regulierten Markt, sehr vielen potenziellen Käufern, die alle unbedingt ein Geschäft machen wollten, und fast ebenso vielen skrupellosen Verkäufern hatte eine globale Industrie geschaffen, die jährlich vier bis sechs Milliarden Dollar einspielte. Damit wurde alles finanziert – von Terrorismus bis Drogen.
„Seit der Terrorattacke vom 11. September sind Kunstverbrechen das weltweit drittgrößte Verbrechen nach illegalen Drogen- und Waffengeschäften“, erklärte er ihr. „Kunsthändler, Sammler und wissenschaftliche Gutachter, die es nicht ganz so genau nehmen, unterstützen heute faktisch die Terroristen. Eine unserer Aufgaben im ACT ist es, die Kunstwelt auf diese Zusammenhänge aufmerksam zu machen, aber …“
Er hatte ihr keinen Vortrag halten wollen. Doch die Anzahl der Verbrechen im Kunstbereich nahm mit solch alarmierender Geschwindigkeit zu – eben weil die Leute nicht erkannten, dass zwischen dem Abbau und der Verschiffung von antiken Kulturgütern und der Finanzierung von Terroristen eine Verbindung bestand.
Wenn mehr Menschen Bescheid wüssten, wäre das zumindest ein erster Schritt. Den letzten großen Artikel in der New York Times zu dem Thema hatte Matthew Bogdanos geschrieben, ein Marine-Colonel im aktiven Dienst. Er hatte beschrieben, wie die Marines bei einem Angriff auf Terroristen im Irak in unterirdischen Bunkern automatische Waffen, ein Munitionsarsenal, Skimasken, Nachtsichtbrillen und ein geheimes Lager mit kostbaren Artefakten wie Vasen, Siegeln und Statuen gefunden hatten. In den letzten zehn Jahren war man bei der Verfolgung von Terroristen immer öfter auf Beutekunst gestoßen. Antiquitäten waren so wertvoll wie Drogen und in vielen Fällen leichter zu transportieren und zu verkaufen.
„Es heißt, Sie haben eine sehr hohe Erfolgsquote, was dasAufspüren von gestohlener Kunst betrifft.“ Dr. Aldermann drückte ihre Zigarette aus. „Sie gelten als einer der Besten in dem Feld.“ Sie brach ab und nippte an ihrem Drink, als müsse sie sich stärken, bevor sie weiterredete. „Deshalb würde ich Sie gerne mit einer Suche beauftragen.“
„Das ehrt mich. Aber ich habe schon einen Job.“
„Das ist mir bewusst. Ich möchte auch nicht, dass Sie Ihren Job aufgeben. Ihre Verbindung zum FBI und Ihre enge Zusammenarbeit mit Interpol sind die eigentlichen Gründe, warum ich Ihnen dieses Angebot mache.“
„Ich weiß Ihr Angebot wirklich zu schätzen, aber ich nehme keine Aufträge auf eigene Faust an.“
„Vielleicht könnten Sie dann, wenn sich unsere Ziele überschneiden sollten, Ihren Job so ausführen, dass es für mich leichter wird, meinen Job zu tun?“
„Das hört sich schon machbarer an.“
Sie beugte sich vor und sagte mit gedämpfter Stimme: „Im Besitz der Gesellschaft befindet sich schon seit einigen Hundert Jahren ein kleines antikes Buch aus Kupfer, das sich auf circa 2000 vor Christus datieren lässt.“
Er sah, dass sie in seinen Gesichtszügen nach einer Reaktion auf ihre Worte suchte. Als nichts kam, redete sie weiter. „Unser Historiker ist vor Kurzem zum Schluss gekommen, dass es eine Liste von Hilfsmitteln zur Tiefenmeditation enthält. Mit ihnen können Menschen Zugang zu den Erinnerungen aus ihren früheren Leben finden.“
„Meinen Sie eine Liste von Erinnerungswerkzeugen?“ Er achtete darauf, dass seine Stimme ruhig blieb, obwohl er sie am
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