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Der Vollzeitmann

Titel: Der Vollzeitmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achim Achilles
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verdiente, floh man in Nebentätigkeiten, die moralisch unangreifbar waren: Kultur eben, oder Soziales. Dagegen konnte man nichts sagen. Attila würde diesen ganzen Kulturfuzzis und Charity Ladies in dieser Stadt gern mal Beine machen: privatisieren, skalieren, sanieren. Einfach mal durchkärchern, wie Sarkozy.
    Aber in diesem schwarzen Subventionsloch Berlin war jede Modernisierung unerwünscht. Hier regierte der rote Mob. Deswegen sah die Stadt auch immer noch aus wie bei »Berlin Alexanderplatz«. Attila verachtete diese Kleine-Leute-Romantik. Am Ende blieb immer nur richtig, dass er mit seinen Steuern die ganzen Hänger mitbezahlte.
    Zu allem Elend las auch noch Ben Becker das Hörbuch. Attila mochte Ben Becker nicht: diese alberne Halbstarken-Attitüde, das Verdrogte, die Bibel-Brüllerei, die ganze Selbstherrlichkeit, die dieser Fremdtextaufsager um sich herumwolken ließ. Andererseits: Ben Becker las gut. Irgendwas blieb immer hängen, vor allem, wenn er die neue Gedächtnis-Technik anwendete, von der er am Wochenende gelesen hatte. Wie war das noch? Man musste Worte in Bilder übersetzen und aus den Bildern einen Film zusammensetzen,
der aber bestimmten Regeln folgen musste. Welchen, das hatte Attila vergessen.
    Jedenfalls würde er nach zwei Stunden Dauerlauf ausgesprochen stolz nach Hause kommen und mit großer Genugtuung die Trainingsdaten in den Rechner laden. Erstens Berlin-Nachhilfe, zweitens nach Plan trainiert und drittens gute Laune - mehr war in zwei Stunden nicht möglich. Ökonomisch gesehen musste er also laufen. Professor Schneider heute Abend würde auch beeindruckt sein. Abgemacht, sagte Attila zu seinem inneren Team: Wir laufen. »Dann nur den grünen Tee«, sagte Attila.
    »Zweineunzig bitte.«
    Attila hatte drei Euro-Münzen und einen Fünf-Euro-Schein in der kleinen Tasche in seiner Laufhose. Glück gehabt. Er konnte die Münzen loswerden, die beim Laufen ohnehin nur klirrten, und den Schein behalten. Nur die zehn Cent störten. Er würde die Münze vergessen und wieder mit in die Waschmaschine befördern. Eine kaputte Waschmaschine nur wegen zehn Cent?
    »Rapper oder Kicker, das waren einträgliche Berufe.«
    Attila legte die drei Euro in den Blechkasten: »Stimmt so.« »Danke«, sagte der Tankstellen-Trottel. Wahrscheinlich bekam er höchstens alle zehn Wochen mal ein paar Cent Trinkgeld. So sah er auch aus, in seinem albernen Kapuzen-Shirt mit der Graffiti-Aufschrift, die man nicht lesen konnte. Anarcho-Folklore. Selber schuld. In diesem Land konnte nun wirklich jeder Stoffel reich und berühmt werden. Vielleicht nicht gerade bei Wesley . Aber es gab ja noch tausend andere Möglichkeiten, selbst fürs Prekariat: Rapper
oder Kicker, das waren einträgliche Berufe. Man musste nur dranbleiben, mutig, ausdauernd, nachhaltig eben. Attila startete seine Pulsuhr und trabte los. In einer Stunde und zwei Minuten durfte er wenden. Negative Split , das war eine schlaue Trainingstechnik: hin in zweiundsechzig Minuten, zurück in achtundfünfzig, obwohl die Beine schon schwer waren. Das schulte die Leidensfähigkeit.
    Trabend suchte Attila im Display das Hörbuch und klickte die Kopfhörer auf die Ohren. Je mehr man zu tun hatte während des Laufens, desto weniger nervte es. Attila bog auf die lange Gerade Richtung Park. In der Ferne erspähte er diesen Kinderwagen-Heini, den er schon an der Tankstelle gesehen hatte. Es gab nichts Entwürdigenderes, als mit so einem albernen Wagen morgens um fünf durch die Stadt zu schieben, erst recht mit einem kotbraunen Cord-Verdeck. Wahrscheinlich bevorzugte die dazugehörige Frau den Neo-Trümmerfrauen-Look mit Kittelschürze von Gucci . Camille war zum Glück ganz anders. Sie wusste, was es bedeutete, den angehenden Chef von Wesley zu repräsentieren. Jetzt musste sie nur noch schwanger werden. Es war alles vorbereitet: Er hatte sie geheiratet, und die Wohnung bot locker Platz für ein Kinderzimmer. Sobald tatsächlich so ein Schreihals bei ihnen einzöge, würde er allerdings auf einem eigenen Schlafzimmer bestehen, am besten schallgeschützt. Camille würde verstehen, dass er seinen Schlaf brauchte, gerade jetzt, wo es im Berliner Büro um alles ging. Am Wochenende würde er das Kind natürlich nehmen, so richtig lange auf den Arm, vor allem, wenn sie eingeladen waren. Väter mit Babys punkten einfach sagenhaft. Da würde sich die Bindinger aber umgucken mit ihren wohlstandsverwahrlosten Pubertätspickeln. Attila hob die Hand zu einem solidarischen Gruß,

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