Der Vollzeitmann
auch an diesem Teufelsgras gelegen haben, das Silke regelmäßig aus Holland mitgebracht hatte. Egal. Das Thema Epilation würde beim monatlichen Brainstorming in der Agentur jedenfalls bestimmt bald dran sein. Es stand ja schon im Spiegel .
Martin war in Elternzeit. Aber das Brainstorming durfte er nicht verpassen. Heute Vormittag würde er ganz unauffällig mal in der Agentur anrufen, um herauszufinden, ob am Nachmittag wie gewohnt gebrainstormed würde. Die Chefs waren immer dabei. Dort wurden die Plätze auf dem Pavianfelsen verteilt. Wer saß oben in der Agentur-Hierarchie, wer fegte unten die Erdnussschalen zusammen? Martin konnte jedes Mal punkten, mit seinen bedächtigen Sätzen. Diesmal würde er vielleicht Vlusser zitieren. Er hatte da schon mal was angestrichen. Oder Jarvis. Aber den
kannten schon zu viele. Hatte Jarvis jemals was zum Zusammenhang von Social Media und Körperrasur gesagt?
Martin blickte in den Kinderwagen. Norbert schlief. Martin war immer noch nicht sicher, ob »Norbert« wirklich eine gute Namenswahl gewesen war. Aber Dorothea hatte darauf bestanden. Unter ihren Freunden herrschte ein unerbittlicher Style Battle. Alle bekamen Kinder. Und alle wollten exklusive Vornamen. Ziel war es nicht, dem Kind ein schönes Leben mit seinem Namen zu bereiten, sondern die Originalität der Eltern nachzuweisen. Altdeutsche Namen (Otto, Karl, Hans) waren ebenso verbraucht wie alttestamentarische (Leon, Jakob, Hezekiel), niedliche (Max, Tim, Michel) und geschlechtslose (Luca, Noah oder Josh). Blieben nur die völlig indiskutablen von früher: Jürgen, Heinz, Uwe und eben Norbert. »Damit sind wir die Ersten«, hatte Dorothea gesagt, »so hat noch keiner sein Kind genannt.« Vielleicht bleiben wir auch die Einzigen, hatte Martin gedacht. Aber er widersprach Dorothea nicht. Sie musste zwei von drei Debatten gewinnen, vor allem die wichtigen. Das befahl ihr weibliches Selbstverständnis. Dorothea sah sich als Powerfrau. Und sie fand, dass eine Powerperson pro Beziehung reichte. Martin hatte sich daran gewöhnt nachzugeben. Dorothea war der Chef; sie war die Reichere, Prominentere, Schönere und Ehrgeizigere. Aber er war der Klügere. Ihre oberflächlichen und seine inneren Qualitäten ergaben ein Gleichgewicht der Abschreckung.
In letzter Zeit funktionierte das Prinzip allerdings nicht mehr so gut. Je seltener sie miteinander schliefen, desto mehr genoss Dorothea es offenbar, ihn persönlich anzugreifen. Sie meckerte über seine Klamotten, seine Lebensmitteleinkäufe, seinen Umgang mit Norbert und zunehmend auch über seinen Körper. »Du siehst aber ganz schön schlaff aus«, hatte sie neulich gesagt, als er den Bauch eingezogen
und sich nach dem Ausziehen vor dem Spiegel im Halbdunkel des Schlafzimmers gedreht hatte. Er war davon ausgegangen, dass sie schon schlief, so wie fast jeden Abend. Beleidigt hatte er geschwiegen. Und Dorothea hatte sich einfach umgedreht. Gut möglich, dass Männer in Elternzeit ein wenig von ihrer sexuellen Strahlkraft verloren. Arbeitende Frauen allerdings auch. Seit Dorothea sich die Haare abgeschnitten hatte und im Fitnessstudio verstärkt an ihren Oberarmen arbeitete, waren sie von hinten wahrscheinlich kaum mehr eindeutig als Mann und Frau zu identifizieren. Dorothea trug ihre Kombat-Hose, er die Einkaufstüten - da kam es bestimmt zu Verwechslungen.
»Verloren Männer in Elternzeit ein wenig von ihrer sexuellen Strahlkraft?«
Er freute sich auf die Tankstelle, die bereits in Sichtweite war. Jeder Besuch dort war ein stiller Akt der Rebellion. Dorothea würde ausrasten, wenn sie wüsste, dass er das Baby den Benzindämpfen aussetzte (Krebs!), dass er sich einen Schokoriegel kaufte (Diabetes!!) und mit dem Mann an der Kasse redete (sozialer Abstieg!!!). Martin schätzte das kurze, meist sinnfreie Gespräch mit dem Vertreter einer anderen Kaste. Es ging nicht um Inhalte, sondern um das gemeinsame Gefühl, nicht allein zu sein. Sie beide hatten eine harte Nacht hinter sich, der eine an der Tanke, der andere mit Norbert. Und sie hatten es wieder geschafft. Helden des Alltags.
Als Martin an der Waschanlage vorbeischob, fiel ihm der verstrubbelte Typ im Geländewagen auf. Er saß einfach nur auf dem Fahrersitz und starrte reglos durch die Frontscheibe. Er sah fertig aus. Auch ein Held des Alltags.
Maik spürte seinen Puls rasen. Der Herzschlag hämmerte Salven in seine Ohren. Panik. Ulrike hatte bestimmt schon ein Dutzend SMS auf sein Handy gefeuert. Aber wo war das Handy?
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