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Der Wachsblumenstrauß

Der Wachsblumenstrauß

Titel: Der Wachsblumenstrauß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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gut aus ihren Erzählungen. Cora hatte, wie Menschen eines gewissen Alters es zu tun pflegen, häufig über ihre Kindheit gesprochen. Es war sehr leicht für Sie, als Erstes dem alten Lanscombe gegenüber eine Bemerkung über Baisergebäck und Hütten fallen zu lassen, um ihm Ihre Identität glaubhaft zu versichern, falls er daran zweifeln sollte. Doch, Sie haben Ihr Wissen von Enderby an dem Tag sehr gut eingesetzt, mit Anspielungen auf dieses, mit Erinnerungen an jenes. Niemand vermutete, dass Sie nicht Cora waren. Sie trugen Coras Kleidung, ein wenig ausgepolstert, und da Cora immer falsche Ponyfransen anlegte, konnten Sie ihr das leicht nachmachen. In den letzten zwanzig Jahren hatte niemand Cora gesehen – und in zwanzig Jahren verändern Leute sich so stark, dass man oft den Satz hört: ›Ich hätte Sie nie im Leben wieder erkannt!‹ Aber Manierismen vergisst man nicht, und Cora hatte bestimmte unverkennbare Manierismen, die Sie vor dem Spiegel sorgfältig einstudierten.
    Und genau da machten Sie sinnigerweise Ihren ersten Fehler. Sie vergaßen, dass ein Spiegelbild stets seitenverkehrt ist. Als Sie im Spiegel die perfekte Wiedergabe von Coras vogelartiger Kopfhaltung sahen, bemerkten Sie nicht, dass es die falsche Seite war. Sie wussten, dass Cora – sagen wir – den Kopf stets nach rechts neigte, aber Sie vergaßen, dass Sie ihren eignen Kopf nach links legen mussten, um die Wirkung im Spiegel zu erzielen.
    Das war die Sache, die Helen Abernethie verstörte, als Sie Ihre berühmte Bemerkung fallen ließen. Irgendetwas kam ihr ›merkwürdig‹ vor. Mir selbst wurde neulich abends bewusst, was in einem solchen Fall passiert – das war, als Rosamund Shane eine überraschende Bemerkung machte. Alle schauen unwillkürlich zu der Person, die spricht. Als Mrs Leo also sagte, etwas habe ›nicht gestimmt‹, musste es etwas sein, das mit Cora Lansquenet zusammenhing. Neulich abends, nach dem Gespräch über Spiegelbilder und wie man sich selbst sieht, glaube ich, dass Mrs Leo vor einem Spiegel saß. Ihr Gesicht ist relativ symmetrisch. Vermutlich dachte sie an Cora, erinnerte sich daran, wie Cora den Kopf nach rechts zu legen pflegte, tat es, schaute in den Spiegel – und da kam ihr das Bild natürlich nicht richtig vor. Schlagartig wurde ihr klar, was am Tag der Beerdigung nicht gestimmt hatte. Sie kam zu dem Ergebnis: Entweder hatte Cora sich angewöhnt, den Kopf auf die andere Seite zu legen – was höchst unwahrscheinlich war –, oder Cora war nicht Cora gewesen. Weder das eine noch das andere schien für sie Sinn zu ergeben. Aber sie war entschlossen, Mr Entwhistle auf der Stelle von ihrer Entdeckung zu berichten. Eine zweite Person, die stets früh aufsteht, folgte ihr nach unten, und aus Angst, was Helen Abernethie aufdecken könnte, schlug sie ihr mit einem schweren Türhemmer auf den Kopf.«
    Poirot hielt kurz inne.
    »Ich kann Ihnen bereits jetzt sagen, Miss Gilchrist« fuhr er fort, »dass die Gehirnerschütterung, die Mrs Abernethie erlitten hat, nicht schwerwiegend ist. Sie wird uns bald ihre eigene Geschichte schildern können.«
    »Ich habe nichts dergleichen getan«, sagte Miss Gilchrist. »Das Ganze ist eine infame Lüge.«
    »Das waren damals wirklich Sie«, meinte Michael Shane plötzlich. Er hatte Miss Gilchrist unverwandt betrachtet. »Das hätte mir früher auffallen müssen – ich hatte das vage Gefühl, Sie irgendwo schon einmal gesehen zu haben… aber natürlich schaut man sich…« Er brach ab.
    »Nein, eine Hausdame schaut man sich natürlich nicht genau an.« Miss Gilchrists Stimme zitterte ein wenig. »Domestiken! Dienstmädchen! Eine bessere Putzhilfe! Aber fahren Sie nur fort, Monsieur Poirot. Fahren Sie mit Ihrer fantastisch unsinnigen Geschichte fort!«
    »Die Andeutung, es könnte ein Mord gewesen sein, war natürlich nur der erste Schritt«, griff Poirot seinen Faden wieder auf. »Sie hatten noch mehr in der Hinterhand. Sie waren jederzeit bereit zu gestehen, dass Sie ein Gespräch zwischen Richard und seiner Schwester belauscht hatten. Was er ihr erzählte, war zweifellos, dass er nicht mehr lange zu leben hatte, und das erklärt auch einen etwas ominösen Satz in dem Brief, den er ihr bei seiner Rückkehr nach Enderby schrieb. Die ›Nonne‹ war eine weitere Ihrer Erfindungen. Die Nonne – oder vielmehr, die Nonnen –, die am Tag der gerichtlichen Untersuchung vor der Haustür standen, brachten Sie auf die Idee, eine Nonne zu erfinden, die Sie verfolgte, und diese

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