Das befreite Wort
Vorwort
Eigentlich schreibe ich Reden, keine Bücher – schon gar keine Ratgeber. Auch dies hier ist kein Rhetorik-Ratgeber. Davon gibt es schon (mehr als) genug. Dieses Buch ist vielmehr das Ergebnis einer Atempause. Nach über zehn Jahren als Redenschreiber und Berater von Rednern in der Wirtschaft habe ich notiert, was mir immer wieder auffällt und was mich immer wieder nachdenklich stimmt. Vor allem aber wollte ich ein Phänomen besser verstehen, das von Jahr zu Jahr klarer hervortrat: das spezifisch deutsche Unbehagen am öffentlichen Redeauftritt. Dabei ist das »spezifisch deutsche« am »Unbehagen« keineswegs verbürgt, jedenfalls nicht wissenschaftlich. Dass zum Beispiel in angelsächsischen Ländern freier und meist auch unterhaltsamer geredet wird; dass dort Redner und Zuhörer gleichermaßen mehr Freude am gesprochenen Wort haben als die Deutschen; dass in Asien wiederum andere Bedingungen für den Auftritt vor Publikum gelten und dass es sicherlich auch eine besondere Redekultur der Inuit gibt – das alles sind hochinteressante Aspekte des Themas, die ich aber für dieses Buch nicht eigens untersucht habe.
Hier geht es um die zunächst subjektive, vor allem im Bereich der Wirtschaft gemachte Erfahrung, dass viele Führungskräfte in ihrer Position zwar davon überzeugt sind, reden zu müssen , dies aber nur sehr ungern tun. Und dass noch mehr Führungskräfte in ihrer Position zwar sehr gerne gute Redner wären, sich aber nicht »trauen « . Die meisten von diesen wiederum behaupten dann von sich, nicht reden zu können – und versuchen, es mit Hilfe der unterschiedlichsten Rhetorik-Ratgeber zu lernen. Doch jeder, der das selbst schon einmal ausprobiert hat, weiß: Es gelingt nur selten mit nachhaltigem Erfolg.
Auch deshalb will dieses Buch kein Ratgeber sein. Es ist eine Bestandsaufnahme und Reflexion. In der Beratung und Begleitung von Rednern, bei der Anfertigung von Redemanuskripten für Redner, der redaktionellen Diskussion über diese Manuskripte sowie im Training anderer, angehender Redenschreiber haben sich einige Überlegungen zum Thema Rhetorik angesammelt, die auf den folgenden Seiten nachzulesen sind. Kurz zusammengefasst lauten sie:
Zum Reden gehört Talent. Es geht auch ohne, aber Sie werden dann nie so gut, wie Sie sein wollen – zumindest nicht mit einem vertretbaren Aufwand. Es ist deshalb vielleicht theoretisch, nicht aber praktisch wahr, was viele Rhetoriktrainer (aus naheliegenden Gründen) behaupten: dass nämlich jeder Mensch ein guter Redner werden kann. (Es kann ja auch nicht wirklich jeder ein guter Tänzer, Maler oder Mathematiker werden!)
Die wichtigste Voraussetzung, um ein vorhandenes rhetorisches Talent zur Entfaltung zu bringen, ist: Sie müssen das wollen . Solange Sie Ihre Fähigkeiten als Redner nur verbessern wollen, weil Sie es müssen (oder weil Sie meinen, Sie müssten es), können Sie sich die Mühe eigentlich sparen und weiterhin passable PowerPoint-Präsentationen abliefern oder gegebenenfalls auch gar nichts sagen. Denn: Erfolg, insbesondere wirtschaftlicher Erfolg, ist keineswegs an gute Reden geknüpft. Es geht auch ohne Reden, wie zahlreiche Beispiele zeigen.
Wenn Sie sich aber doch als Redner exponieren, vielleicht sogar glänzen wollen, sollten Sie zugleich davon überzeugt sein, dass sie das auch dürfen . Diese Überzeugung haben nur wenige – aber alle, die gut sind. Ihre rhetorische Ethik entscheidet mehr als alles andere über Ihren Redeerfolg. Von ihr handelt dieses Buch deshalb vor allem.
Rhetorisch in Erscheinung zu treten bedeutet immer, persönlich in Erscheinung zu treten. Das macht die hohe Attraktivität der Rhetorik aus, aber zugleich auch ihre Problematik. Denn der Ton macht eben nicht nur die sprichwörtliche Musik, er »macht« auch die Person, wie aus der Herkunft dieses Wortes zu ersehen ist: Das lateinische »personare« heißt »durchtönen«! Rhetorisches Bemühen betrifft immer die ganze Persönlichkeit, vor allem ihren Kernbestand an inneren Überzeugungen, gelernten und kulturell vermittelten Mustern. Sie sind aus ernsthafter rhetorischer Übung und Ausübung nicht nur nicht herauszuhalten. Sie zu kennen und sich an der richtigen Stelle auf sie zu berufen, macht nicht selten sogar den Unterschied zwischen Erfolg und Misserfolg einer Rede aus.
So wie es bei jenem Unternehmenschef der Fall war, dem es bei den Proben (Ja, Profis proben! Auch das Reden!) zu einer wichtigen Rede zunächst einfach nicht gelingen wollte,
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