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Der Wächter des Herzens

Der Wächter des Herzens

Titel: Der Wächter des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Françoise Sagan
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»Fünfundvierzig Jahre.«
    »Sie haben Glück«, sagte er.
    Ich sah ihn verblüfft an. Er war
mindestens sechsundzwanzig Jahre jünger.
    »Glück. Warum?«
    »Weil Sie es schon so weit gebracht
haben. Eine schöne Leistung.«
    Er ließ meine Hand los oder vielmehr
(diesen Eindruck hatte ich): er hängte sie wieder an mein Handgelenk an. Dann
wandte er den Kopf ab und schloß die Augen. Ich stand auf.
    »Guten Abend, Lewis.«
    »Guten Abend«, sagte er leise. »Guten
Abend, Dorothy Seymour.«
    Ich schloß lautlos die Tür und ging
wieder auf die Terrasse hinunter. Ich fühlte mich eigentümlich wohl.
     
     
     

DRITTES KAPITEL
     
    »Du und ich... Darüber werde ich nie
hinwegkommen. Niemals werde ich darüber hinwegkommen können.«
    »Man überwindet alles.«
    »Nein, zwischen dir und mir ist etwas
Unwiderrufliches geschehen, du fühlst es. Du... mußt es wissen. Es kann nicht
sein, daß du es nicht weißt.«
    Ich unterbrach diesen erschütternden
Dialog, meine neueste Schöpfung, und warf Lewis einen fragenden Blick zu. Er
hob die Brauen, lächelte.
    »Glauben Sie selbst an solche
unwiderruflichen Dinge?«
    »Es geht hier nicht um mich. Es geht um
Franz Liszt und...«
    »Aber Sie?«
    Ich lachte. Manches im Leben war mir
unwiderruflich erschienen, und nach einigen Liebeserlebnissen hatte ich
wirklich gedacht, ich würde sie nie vergessen können. Und nun saß ich mit
fünfundvierzig Jahren in bester Laune in meinem Garten und liebte niemanden.
    »Ich habe daran geglaubt«, sagte ich.
»Und Sie?«
    »Noch nie.«
    Er schloß die Augen. Wir hatten ganz
allmählich miteinander zu sprechen begonnen, über ihn, über mich, über sein und
mein Leben. Wenn ich abends aus dem Studio zurückkehrte, kam Lewis auf zwei
Stöcke gestützt aus seinem Zimmer herunter. Er setzte sich in den Korbsessel,
und wir sahen bei einigen Gläsern Scotch zu, wie es dunkel wurde. Ich war
entzückt, ihn bei meiner Heimkehr vorzufinden, ruhig, sonderbar, fröhlich und
schweigsam zugleich, wie ein unbekanntes Tier. Entzückt, weiter nichts. Ich war
keineswegs in ihn verliebt, und das Merkwürdige war, daß mich seine Schönheit
unter anderen Umständen erschreckt, ja beinahe abgestoßen haben würde: er war
zu glatt, zu schlank, zu vollkommen. Durchaus nicht weibisch, aber er erinnerte
mich an die auserwählte Rasse, von der Proust spricht: Sein Haar sah aus wie
Federn, seine Haut wie ein Gewebe. Kurz, er hatte nichts von der jungenhaften
Rauheit, die mich an den Männern anzieht. Ich fragte mich, ob er sich rasierte,
ob er es überhaupt nötig hatte, sich zu rasieren.
    Er entstammte, wie er mir berichtete,
einer puritanischen Familie aus dem Norden der Vereinigten Staaten. Nach
einigen planlosen Studien hatte er sich zu Fuß auf den Weg gemacht und die
verschiedenen Berufe ausgeübt, die ein umherstreunender junger Mann ausüben
kann. Zuletzt war er in San Francisco gelandet. Eine Begegnung mit Burschen
seines Schlages, eine zu starke Dosis LSD, eine Spritztour im Auto und eine
Schlägerei hatten ihn dorthin geführt, wo er nun war: zu mir. Sobald er geheilt
wäre, wollte er weiterziehen; wohin, wußte er nicht. Einstweilen sprachen wir
über das Leben, über die Kunst — er war gebildet, hatte aber unglaubliche
Lücken — kurz, unsere Beziehung war durchaus kultiviert und im übrigen die
albernste, die zwei Menschen in den Augen der Menge haben können. Aber obwohl
er mich fortwährend über meine vergangenen Liebschaften ausfragte, sprach Lewis
nie über die seinen, und das war der einzige Schatten, bei einem so jungen Mann
allerdings ein sehr beunruhigender Schatten. Er sagte »die Frauen« oder »die
Männer«, beides mit derselben Gleichgültigkeit und Ausdruckslosigkeit. Und ich,
die ich es in seinem Alter nicht fertiggebracht hatte, ohne einen zärtlichen
Tonfall, eine gerührte, verworrene Regung »die Männer« zu sagen, fühlte mich
manchmal unanständig und wie erstarrt.
    »Wann haben Sie diesen Eindruck des
Unwiderruflichen gehabt?« fragte Lewis. »Als Ihr erster Mann Sie verließ?«
    »Mein Gott, nein. Damals war ich eher
erleichtert. Wissen Sie, immer und immer wieder nur abstrakte Kunst... Aber als
Frank mich verließ, damals, ja, damals fühlte ich mich wie ein krankes Tier.«
    »Wer ist Frank? Der zweite?«
    »Ja, der zweite. Er hatte nichts
Außergewöhnliches an sich, aber er war so fröhlich, so zärtlich, so glücklich...«
    »Und er verließ Sie?«
    »Louella Schrimp vergaffte sich in
ihn.«
    Er hob fragend die

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