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Brezeltango

Brezeltango

Titel: Brezeltango Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Kabatek
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1. Kapitel
    Der Mann, der zu mir passt, hat einen kleinen Bauch,
eine Brille und womöglich eine Glatze auch,
am Abend trinkt er Bier und schnarcht danach,
liegt man neben ihm, so bleibt man lange wach
.
    »Mama, ich hab Hunger!«
    »Gleich, Schatz. Ich muss zuerst deine Schwester wickeln.«
    »Ich hab aber jetzt Hunger!«
    »Dann sag’s deinem Vater.«
    Ich atmete tief durch, wischte mir die fettigen Hände an meiner Schürze ab, nahm das Baby hoch und ging ins Wohnzimmer. Leon lag auf der Couch, eine halb leere Bierflasche in der Hand, und las den
Kicker
. Die beiden auf dem Teppich liegenden leeren Flaschen sahen aus, als würde hier demnächst Flaschendrehen gespielt. Es waren nur noch nicht genug Leute da.
    »Leon!«
    »Hmm.« Leon positionierte die Bierflasche, ohne hinzusehen, auf dem Gipfel des Bauchbergs unter seinem T-Shirt und konzentrierte sich weiter auf den
Kicker
. Das T-Shirt war so fleckig, dass man die Aufschrift »Bosch – Technik fürs Leben« kaum noch entziffern konnte.
    »Leon, ich muss die Kleine wickeln und die Wäsche aufhängen. Machst du Leander was zu essen, er hat Hunger.«
    »Hmja.« Leon rülpste dezent.
    »Leon!«
    »Hmja?«
    »Leon, hörst du mir überhaupt zu?«
    »Klar. Ich will nur eben den Artikel über den HSV zu Ende lesen. Dauert nur eine Sekunde.«
    Leander hatte leider nicht die nordisch-entspannte Natur seines Vaters geerbt und ging jetzt auf Stufe zwei, markerschütterndes Gebrüll. »ICH – HAB – HUNGER!«
    Leon drehte irritiert den Kopf in Richtung Küche. Die Bierflasche wackelte eine Millisekunde und kippte dann seitlich vom Bauchberg weg auf den Boden. Eine halbe Flasche Dinkelacker plätscherte über den zerschlissenen Teppich. Leon fuhr vom Sofa hoch und zermalmte ein paar hässliche Flüche zwischen Ober- und Unterkiefer, während Leander auf Stufe drei ging: markerschütterndes Gebrüll plus Aufreißen und Zudonnern von Küchenschranktüren.
    Ich wartete nicht auf Stufe vier. Ich verschob das Wickeln und floh mit dem Baby auf dem Arm aus der Wohnung im fünften Stock hinunter in den Keller.
    Vierter Stock. Frau Müller-Thurgau, im rosa Jogginganzug, mit einer brennenden Zigarette in der Hand: »Sie, Frau Praetorius! Wasch ’n des scho wiedr fir an Krach! A ganz Mietshaus tirannisiere!«
    Ich rannte weiter. Dritter Stock, Herr Tellerle drohte mit der Faust. »Koi Ricksichd auf ons alde Leit!«
    Zweiter Stock. Menschen, die ich noch nie gesehen hatte, zeigten mit dem Finger auf mich, zeterten und tobten, zerrten an mir und dem Baby, brüllten und schrien durcheinander: »Overschämd! Zu onsrer Zeit hätts des net gäba! Kennad Sie Ihre Kender net erzieha? Ond Kehrwoch aständig macha?«
    Endlich, der Keller, die Waschküche! Ich drängte die wütende Meute hinaus, donnerte die Tür zu, schloss mit dem rostigen Schlüssel ab und drehte mich um. Aus der Waschmaschine quoll Wäsche, eine unendliche Menge an Stramplern, Höschen und Hemden, Leons Hemden, die ich alle sorgfältig würde bügeln müssen, damit er ordentlich zu Bosch ins Gschäft gehen konnte, Wäsche, immer mehr Wäsche, es nahm kein Ende, das Baby brüllte jetzt wie am Spieß, der Wäschestrom floss unaufhaltsam auf uns zu, bloß raus hier! Aber vor der Kellertür stand der Mob und versuchte die Tür einzuschlagen, das Holz splitterte, ein Besenstiel brach durch das Loch, Herr Tellerle lachte irre, ich schrie, wich zurück und stürzte, der riesige Kleiderberg deckte mich und das Baby zu, ich schrie verzweifelt, aber niemand kam mir zu Hilfe, die Wäsche hüllte mich ein in die unendliche, feuchte Dunkelheit einer Waschküche im Stuttgarter Westen, aus der es kein Entrinnen gab ...
    »Line, wach auf!«
    Ich fuhr schwer atmend hoch. Beruhigend legte sich eine Hand auf meinen Rücken und fuhr sanft auf und ab.
    »Schsch ... Ganz ruhig, Line, du hast nur schlecht geträumt!«
    Ich ließ mich erleichtert wieder in die Kissen fallen. Leon drückte mir einen Kuss auf die Stirn und flüsterte: »Du hast im Schlaf gestöhnt und geschrien. Du hast nicht zufällig von deinem feurigen Hamburger Liebhaber geträumt?«
    Ich konnte Leons Grinsen im fahlen Licht des Sommermorgens deutlich vor mir sehen. Ich kannte niemanden, der so wie er jederzeit grinsen konnte, ohne vorher seine Gesichtsmuskeln aufzuwärmen, sogar gleich nach dem Aufwachen.
    »Stimmt, ich habe von dir geträumt.«
    Vielleicht nicht unbedingt das, was Leon sich so ausmalte. Aber sagte nicht jeder Ratgeber, dass man in einer Beziehung ein paar

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