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Der Wächter

Der Wächter

Titel: Der Wächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Durcheinander der Welt jenseits seiner Mauern darstellte.
    Hazard trat aus dem Schlafzimmer in den Flur, wo er kurz stehen blieb und aufmerksam lauschte. Als er nur das verhaltene Trommeln des abnehmenden Regens auf dem Dach hörte, warf er einen Blick auf die Armbanduhr und fragte sich, wie viel Zeit ihm wohl noch blieb, um die anderen Zimmer im Obergeschoss unter die Lupe zu nehmen.
    Sonst ließ der Instinkt Hazard nur selten im Stich, aber jetzt sagte er ihm gar nichts. Vielleicht kam der Professor jeden Moment zurück, vielleicht auch erst in mehreren Stunden oder gar Tagen.
    Hazard ging zu der Tür, die auf das Schlafzimmer folgte, stieß sie auf und knipste das Licht an.
    Allem Anschein nach handelte es sich um einen Abstellraum. Schlichte, nur mit rot schablonierten Ziffern versehene Pappkartons waren dreifach aufeinander gestapelt und säuberlich aufgereiht.
    Erwartungsvoll ging Hazard darauf zu. Dann sah er, dass die Kartons mit exakt angebrachten Streifen Klebeband verschlossen waren. Wenn er einen davon aufriss, konnte er ihn nicht so sauber wieder verschließen, dass seine unbefugten Nachforschungen verborgen blieben.
    Während er sich dem letzten Zimmer auf dieser Seite des Flurs näherte, nahm er einen unangenehmen Geruch wahr. Als er die Tür erreichte, war daraus ein beißender Gestank geworden.
    Als Hauptbestandteil dieses Gestanks erkannte Hazard den Geruch von verwestem Fleisch. In seiner Laufbahn bei der Mordkommission hatte er damit mehr als genug Bekanntschaft gemacht. Hinter dieser Tür befand sich offenbar mindestens eines von Laputas Souvenirs, bei dessen Anblick er sich wohl wünschen würde, vorher keine Cheeseburger mit Pommes verzehrt zu haben.
    Der Lichtschein der Wandlampen im Flur drang nur ein Stück weit ins Zimmer vor. Hazard konnte kaum etwas erkennen.
    Als er über die Schwelle trat und den Schalter an der Wand anknipste, leuchtete eine Nachttischlampe auf. Einen Moment lang glaubte er, dass es sich bei dem halb von einem Laken verhüllten Mann im Bett um eine Leiche handelte.
    Dann sah er in den blutunterlaufenen Augen, die flehentlich auf ihn gerichtet waren, ein Blinzeln.
    Noch nie hatte Hazard einen lebenden Menschen in einem derart erbarmenswürdigen Zustand gesehen. So mussten verhungerte Zwangsarbeiter in Konzentrationslagern aussehen, die man in primitive Gräber stieß, nachdem man den letzten Rest Arbeitskraft aus ihnen herausgepresst hatte.
    Trotz des Infusionsständers und des mit dem Katheter verbundenen Urinbehälters wusste Hazard sofort, dass Professor Laputa hier nicht etwa einen erkrankten Verwandten pflegte. Den Mann im Bett hatte man nicht mit der Fürsorglichkeit behandelt, die einem Patienten zustand, sondern mit der ganzen Brutalität, mit der ein wahnsinniger Kerkermeister seine Gefangenen peinigte.
    Die beiden Fenster waren mit Brettern verschalt und am Rand abgedichtet worden, damit kein Tageslicht herein- und kein Geräusch hinausdrang.
    In einer Ecke lagen Ketten, Handschellen und Fußfesseln auf dem Boden. Bestimmt stammten sie aus den ersten Tagen der Gefangenschaft, als der Mann im Bett noch kräftig genug gewesen war, um sich zu wehren.
    Hazard hatte schon eine Weile vor sich hin gemurmelt, als er sich hörte. Er hatte unwillkürlich die Kindergebete gesprochen, die Oma Rose ihm vor vielen, vielen Jahren beigebracht hatte.
    Hier war das Böse in einer Form, wie er es noch nie gesehen hatte, so rein, dass ein einfacher Sünder wie er es nie würde verstehen können. Was hier ein- und auskehrte und bald wiederkommen würde, war ein Dämon auf Urlaub von der Hölle.
    Die außergewöhnliche Reinlichkeit und Ordnung anderswo im Haus waren offenbar kein Zeichen für Laputas Bedürfnis, sich vor der Unordnung der Welt draußen zu schützen. Sie waren ein verzweifeltes Leugnen der Tatsache, welch ein verzehrendes Chaos in seinem Innern tobte.
    Als Hazard nun neben das Bett trat, wurde ihm mit jedem Atemzug übler. Wochenlang getrockneter Schweiß, ranzige Körperöle und eiternde Druckgeschwüre erzeugten einen bestialischen Gestank.
    Dennoch ergriff Hazard sanft die zerbrechliche Hand des Fremden. Der hatte nicht genügend Kraft, um den Arm zu heben, und schaffte es kaum, seinem Retter die Hand zu drücken.
    »Jetzt wird alles gut«, sagte Hazard. »Ich bin von der Polizei.«
    Der Fremde sah Hazard an, als wäre der ein Trugbild.
    Draußen im Flur hatte der Instinkt Hazard noch im Stich gelassen, doch nun funktionierte er offenbar wieder ausgezeichnet.

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