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Der Wächter

Der Wächter

Titel: Der Wächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Aufzug blieb trotzdem nicht. Ethan spurtete zur Hintertreppe, polterte sechs Fluchten hinunter und hetzte durch die Tür zum Erdgeschoss.
    An seiner Wohnung angelangt, stieß er die Tür auf und rief sofort nach Fric, erhielt jedoch keine Antwort.
    Offenbar war der Junge immer noch in der Bibliothek. Gar nicht gut. Fric hatte sich mit seinen zehn Jahren bislang zwar mehr oder weniger allein gut durchs Leben geschlagen, aber diese Nacht würde er allein auf sich gestellt nicht überleben.
    Ethan rannte zum Schreibtisch in seinem Arbeitszimmer. Die Pistole hatte er in der Schublade oben rechts liegen.
    Als er die Schublade aufzog, rechnete er fast damit, dass die Waffe verschwunden war. Aber sie war da. Ein schöner Anblick.
    Während er sie ins Schulterhalfter schob, warf er noch einmal einen Blick auf die Gegenstände, die zwischen Computer und Telefon aufgereiht waren.
    Kinderreime.
    Deine Mutter ist in Pommerland , Pommerland ist abgebrannt …
    Das Mittwochskind ist voller Leid …
    Kinderreime.
    Die Vorhäute zehn beschnittener Männer. Zehn, weil Fric zehn Jahre alt war. Was waren Vorhäute? Gewebestücke. Fetzen. Schnipsel .
    Und Schnecken waren Schnecken .
    In dem Buch mit dem Titel Helfende Pfoten ging es um Hunde. Junge Hunde waren Welpen.
    Woraus sind kleine Jungen gemacht?
    Schnipsel und Schnecken und Welpenschwänzchen , daraus sind kleine Jungen gemacht .
    Auch der Zettel, der im Apfel gesteckt hatte, lag auf dem Tisch:
    DAS AUGE IM APFEL? DER WACHSAME WURM? DER WURM DER ERBSÜNDE? HABEN WORTE EINEN ANDEREN ZWECK, ALS VERWIRRUNG ZU STIFTEN?
    In diesem Fall war Verwirrung tatsächlich der einzige Zweck. Die sechste Sendung war am leichtesten zu deuten gewesen, weshalb der Professor aus dem Drehbuch, wer zum Teufel er auch war, die Lösung mit spöttischen Worten verschleiert hatte.
    Das Auge im Apfel war blau wie die berühmten blauen Augen von Channing Manheim. Aber es war nicht das Auge im Apfel, sondern sein Augapfel .
    Nicht, dass Channing Manheim seinen Sohn je gehütet hätte wie seinen Augapfel. Fric war der blinde Fleck im Auge seines Vaters, der allzu oft übersehen und zumindest nie in seiner ganzen Persönlichkeit gesehen wurde. In dieser Hinsicht war der Absender der schwarzen Schachteln einem Irrtum unterlegen. Was das »Gesicht« wie seinen eigenen Augapfel schätzte, war nur er selbst, neben dem es niemand anderen geben konnte.
    Wusste man über die wahre Beziehung zwischen Vater und Sohn Bescheid, dann war es wohl verzeihlich, wenn man keine Verbindung zwischen dem Puppenauge in dem schwarz vernähten Apfel und dem Jungen sah. Dennoch verfluchte Ethan sich selbst, den Fingerzeig übersehen zu haben.
    Er drückte die Taste für die Sprechanlage und dann die Nummer für das Wachbüro im Gärtnerhaus. »Pete? Ken? Es gibt womöglich ein Problem.«
    Keine Antwort.
    »Pete? Ken? Seid ihr da?«
    Nichts.
    Ethan riss den Telefonhörer von der Gabel. Kein Wählton.

89
    Die Hyäne schlief in einer sauberen Höhle, in der es keinerlei Erinnerungen an ihre Mordtaten gab. Keine mit dem Blut der Opfer befleckten Kleidungsstücke, die Laputa an sein Gesicht drücken konnte, um den Geruch des Todes zu schnuppern. Kein Frauenschmuck, den er streicheln konnte. Keine Polaroidaufnahmen von Justine Laputa oder Mina Reynerd, nachdem er deren Sterblichkeit mit einem Schürhaken beziehungsweise einer Bronzelampe auf die Probe gestellt hatte. Nichts.
    Nach einer raschen, aber sorgfältigen Durchsuchung des Kleiderschranks, der Kommodenschubladen, der Nachttische und jedes anderen Orts im Schlafzimmer, an dem Laputa womöglich die Sorte Pornografie versteckt hatte, die nicht auf einen Lustmolch, sondern auf einen besessenen Gewalttäter verwies, hatte Hazard keinerlei Indizien auf ein Verbrechen oder auf eine Gemütskrankheit gefunden.
    Wie schon im Erdgeschoss waren zwei Dinge bemerkenswert: die makellose Reinlichkeit, die mit jedem hermetisch abgeriegelten und häufig sterilisierten Biowaffenlabor konkurrieren konnte, und der Fetischismus, mit dem jeder große und kleine Gegenstand streng geometrisch angeordnet war. Alles, nicht nur die offen daliegenden Dinge, sondern auch der Inhalt der Schubladen, war wie mithilfe von Lineal, Winkelmesser und Messlatte positioniert. Die Socken und Pullover sahen aus, als wären sie von einem auf äußerste Präzision programmierten Roboter zusammengelegt und verstaut worden.
    Erneut spürte Hazard, dass dieses Haus für Vladimir Laputa einen letzten Zufluchtsort vor dem

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