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Der Wächter

Der Wächter

Titel: Der Wächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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gerissen worden war.
    Darauf, dass Dunny im Palazzo Rospo gewesen war, hatte zuerst das Verschwinden der drei Glöckchen von Ethans Schreibtisch hingewiesen. Die E-Mails von Devonshire, Yorn und Hachette hatten diese Vermutung bestätigt. Das Foto schließlich war aus Ethans Sicht ein eindeutiger Beweis.
    So tot, so unbestreitbar mausetot Dunny laut Dr. O’Brien auch sein mochte, er war weiterhin unterwegs, mit Kräften, die jeder Vernunft widersprachen, die jedoch charakteristisch für ein übernatürliches Wesen waren.
    Er war im Palazzo Rospo gewesen.
    Er war jetzt hier.
    Früher hätte Ethan die Vorstellung eines wandelnden Toten für Humbug gehalten. Aber inzwischen war er nach einem Bauchschuss nicht etwa gestorben, sondern wundersamerweise wiedererweckt worden, er war von einem Chrysler und einem Lastwagen zerquetscht worden und gleich nach diesem zweiten Tod ebenfalls wieder auf den Beinen gewesen. Er selbst war zwar kein Geist, aber nach den Ereignissen der letzten beiden Tage konnte er an Geister glauben, durchaus, und an eine Menge Dinge, denen er vorher nicht den geringsten Glauben geschenkt hatte.
    Vielleicht war auch Dunny kein Geist, sondern etwas anderes, etwas, für das Ethan keinen Namen kannte.
    Was immer aber Dunny sein mochte, ein gewöhnlicher Mensch war er nicht mehr. Seine Motive konnte man daher weder durch logisches Denken ergründen noch mittels Intuition, auf die man sich als Polizist immer so gern verließ.
    Dennoch spürte Ethan nun, dass die Bedrohung für Fric nicht von seinem Freund aus der Kindheit ausging, dem er zuletzt so lange fremd gewesen war. Dunnys Rolle in dieser bizarren Geschichte war offenbar eher positiv. Ein Mann, der Hannah geliebt und noch fünf Jahre nach deren Tod ihr Bild auf dem Schreibtisch stehen gehabt hatte, musste in seinem Innern zumindest potenziell gut sein. Er konnte gewiss nicht die reine Bosheit in sich tragen, die man brauchte, um einem unschuldigen Kind Schaden zuzufügen.
    Ethan faltete das Foto zusammen und steckte es ein. »Fric!«, rief er. »Fric, wo bist du?«
    Weil er keine Antwort erhielt, eilte er durch die Bibliothek, durch Schluchten voller Bücher, von Äsop über Conrad Aiken zu Alexandre Dumas, von Gustave Flaubert zu Victor Hugo, von Somerset Maugham zu Shakespeare und schließlich bis zu Emile Zola, voller Angst, den Jungen tot vorzufinden, wenn er ihn überhaupt fand.
    Kein Fric.
    Zu der Leseecke, die am weitesten vom Eingang entfernt war, gehörten nicht nur Sessel, sondern auch ein Arbeitstisch mit Telefon und Computer.
    Nach draußen konnte man zwar nicht mehr gelangen, aber die Sprechanlage war eine von den Telefonanschlüssen getrennte Funktion des Systems. Nur ein Stromausfall konnte sie lahm legen.
    Ethan drückte die Taste mit der Aufschrift HAUS und brach damit eine von Mrs. McBees Grundregeln, indem er den Jungen gleichzeitig vom zweiten Stock bis zur unteren Tiefgarage ausrief. Seine Stimme musste nun aus sämtlichen Lautsprechern in der Villa dringen: »Fric? Wo bist du, Fric? Wo du auch bist, gib Antwort!«
    Er wartete. Fünf Sekunden konnte eine qualvoll lange Zeit sein. Zehn kamen ihm bereits wie eine Ewigkeit vor.
    »Fric? Gib Antwort, Fric!«
    Plötzlich schaltete sich der Computer neben dem Telefon an, obwohl Ethan ihn nicht berührt hatte.
    Der Geist, der den Computer bediente, rief das Überwachungsprogramm auf. Statt der üblichen drei Reihen Icons zeigte der Bildschirm sofort den Grundriss des Erdgeschosses, die östliche Hälfte.
    Was da ungerufen aufgetaucht war, war das Display der Bewegungsmelder. Ein Lichtpunkt, ein Zeichen für Bewegung und Körperwärme, blinkte im Treibhaus.
    Mit seinen zweiundzwanzig Metern Durchmesser und fünfzehn Metern Höhe bot das Treibhaus Platz für einen wahren Dschungel. Die hohen Bleiglasfenster stammten aus einem französischen Schloss, das im Ersten Weltkrieg großteils zerstört worden war.
    Hier hegten und pflegten Mr. Yorn und seine Leute eine Sammlung aus exotischen Palmen, Tulpenbäumen, Frangipani-Sträuchern, Mimosen, vielen Arten Farn, Tillandsien, Tempelglocken, Orchideen und einer Menge anderem Zeug, von dem selbst Fric nicht einmal den Namen kannte. Schmale, mit geschrotetem Granit bestreute Pfade schlängelten sich zwischen von Mäuerchen umrahmten Pflanzeninseln hindurch.
    Schon wenige Schritte, nachdem man das grüne Labyrinth betreten hatte, war die Illusion einer tropischen Wildnis vollkommen. Man konnte so tun, als hätte man sich irgendwo in Afrika

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