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Der Wächter

Der Wächter

Titel: Der Wächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Farnen kauernd, hörte Ethan eine zweite Salve, insgesamt drei oder vier Schüsse. Sie stammte von einer Waffe mit Schalldämpfer. Eine halbe Minute lang war es still, dann folgte eine dritte Salve. Keine der Kugeln schlug in Ethans Nähe ein. Offenbar hatte der Schütze ihn aus den Augen verloren. Vielleicht hatte der Typ auch nie gewusst, wo Ethan sich genau aufhielt, hatte blindlings in den Dschungel gefeuert und ihn mit den ersten Schüssen nur zufällig um ein Haar getroffen.
    Schütze – Einzahl. Typ – einer.
    Folgte man dem gesunden Menschenverstand, so erforderte ein Angriff auf den Palazzo Rospo ein ganzes Team. Es war praktisch unmöglich, dass ein einzelner Mensch über die Mauer kletterte, sämtlichen elektronischen Überwachungsmaßnahmen ein Schnippchen schlug, die Wachleute außer Gefecht setzte und schließlich in die Villa eindrang. So etwas schafften nur ein Bruce Willis im Breitwandformat, ein Tom Cruise mit Make-up und ein Channing Manheim, der einen Vertreter der dunklen Seite spielte. Ein normaler Mensch brachte das unmöglich zustande.
    Wäre jedoch ein eingespieltes Team von Kidnappern ins Haus gelangt, dann hätte im Treibhaus nicht nur ein einzelner Schütze gesessen und zur Abschreckung kurze Salven abgefeuert. Ethan wäre mit zwei, drei vollautomatischen Karabinern unter Beschuss genommen worden, mit Uzis oder noch Schlimmerem. Inzwischen wäre er mausetot gewesen und hätte im Paradies an seiner nagelneuen Harfe gezupft.
    Als nach der dritten kurzen Salve endgültig Schweigen herrschte, erhob Ethan sich aus der Deckung und schlich zwischen Farnen und Palmen hindurch zum Rand des Pfades.
    In Dschungelfilmen signalisierte eine solche Stille dem wildniserfahrenen Helden immer, dass irgendein Schurke in die unberührte Natur eingedrungen war und Zikaden wie Zibetkatzen zum Verstummen brachte.
    Der würzig-saftige Geruch zerdrückter Blätter stieg unter Ethans Füßen auf.
    In den Wänden summte die gedämpfte Stimme eines Heizungsventilators.
    Eine winzige Mücke schwebte vor Ethans Nase in der Luft.
    Er schmeckte Blut im Mund. Offenbar hatte er sich auf die Zunge gebissen, als er sich auf den Bauch geworfen hatte. Die Wunde begann erst jetzt zu pochen.
    Das Rascheln von Blattwerk ließ ihn herumfahren. Er richtete seine Pistole auf den Punkt, aus dem das Geräusch kam.
    Kein Blattwerk, sondern Flügel. Hoch über dem Pfad flog ein kleiner Schwarm bunter Papageien durch den Dschungel. Sie waren blau und rot und gelb und so schillernd grün wie gewisse merkwürdige Sonnenuntergänge.
    Im Treibhaus waren keine Vögel zu Hause, weder ein Papageienschwarm noch ein einzelner Spatz.
    Die bunten Vögel ließen sich vor Ethan fallen und sausten dann ohne jedes Kreischen oder Krächzen an ihm vorbei. Als sie sich wieder in die Höhe schwangen, wurden sie zu weißen Tauben.
    Das war das Phantom aus dem beschlagenen Spiegel, das waren die Glöckchen, die Ethan vor dem Blumenladen in der Hand gespürt hatte. Das war der schwere Duft von Broadway-Rosen in Ethans Arbeitszimmer, in dem keine Rosen gestanden hatten, und die geliebte Stimme der toten Hannah, die im weißen Zimmer einen Kinderreim aufgesagt hatte. Das war die Hand einer übernatürlichen Kraft, die sich ihm entgegenstreckte und ihn führen wollte.
    Nachdem der Taubenschwarm hektisch flatternd in die Höhe gestiegen war, kam er federstiebend wieder auf Ethan zu und rauschte abermals an ihm vorbei, begleitet von einem luftigen Trommelwirbel, der ihn gleichermaßen berauschte, wie er ihm Angst machte, der sein Herz mit Staunen erfüllte, in seinem Innern aber auch die Busch-trommeln eines urtümlichen Schreckens zum Dröhnen brachte.
    Die Tauben flogen davon. Er rannte los. Sie führten ihn. Er folgte.
    »Moment noch«, sagte Hazard zu den Sanitätern, die trotz des üblen Gestanks auf das Bett zueilten. Sie blieben stehen, und obwohl sie in ihrem Beruf bestimmt jeden Tag mit allerhand grauenhaften Dingen konfrontiert waren, gafften sie mit aufgerissenen Augen auf den Anblick, der sich ihnen da bot.
    »Einen … Jungen«, krächzte Dalton.
    »Was für einen Jungen?«, wiederholte Hazard, der die knochige Hand des Mannes im Bett in seine beiden Hände genommen hatte.
    »Zehn«, sagte Dalton.
    »Zehn Jungen?«
    »Zehn … Jahre.«
    »Ein zehnjähriger Junge«, sagte Hazard, der nicht ganz begriff, was Dalton damit meinte, Laputa wolle mit einem Jungen zurückkehren. Vielleicht verstand er den halb toten Professor nur nicht richtig.
    Trotz der

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