Der wahre Hannibal Lecter
sich für Fußball und Motorräder interessieren. Doch Robert ist anders. Dass ihn seine Mutter kaum beachtet und ihm niemals wirkliche Aufmerksamkeit schenkt, erscheint fast wie ein Zeichen seines persönlichen Unterganges.
Es dauert nicht lang, und er verabschiedet sich für immer in die Klauen der Kriminalität. Sein Leben beginnt in einem andauernden Rauschzustand zu verschwimmen. Längst ist er in schlechte Gesellschaft geraten. Die Kontrolle über sein Leben, sie scheint ihm zu entgleiten. Gerade einmal 16 Jahre alt ist Robert, als er zum ersten Mal auf der Anklagebank sitzt. Das Gericht in Liverpool verurteilt ihn zu einer Jugendstrafe. Die Anklage lautet: »Einbruch und Diebstahl.«
Ziellos reist er durch die Lande. Seinem Elternhaus ist er längst entflohen, gedemütigt und mit Minderwertigkeitskomplexen überladen. Er versucht Arbeit zu finden. Doch welcher Arbeitgeber stellt schon einen vorbestraften Jugendlichen ein? Gelegentlich bekommt er einen Job an einer Tankstelle – meist wird er für die Nachtschicht eingeteilt. Er muss die Scheiben unzähliger Fahrzeuge reinigen und bekommt fast keinen Lohn. Man nutzt seine Situation aus, sieht in ihm eine billige Hilfskraft und speist ihn mit ein paar Pfund ab. Schnell hat er genug von dieser Ausbeuterei und verwahrlost vollends. In seinen zerlumpten Kleidern, seinem ganzen Besitz, stromert er von Stadt zu Stadt. Per Anhalter reist er durch die Gegend, doch schon bald will ihn kein Fahrer mehr mitnehmen. Man fürchtet sich vor diesem verwahrlosten Burschen, einem heruntergekommenen Riesen mit seinen inzwischen 1,89 m und mit seinen Bärenkräften.
Hunger und Durst sind die unliebsamen Begleiter auf seiner Reise nach Nirgendwo. Längst sind die Schuhe durchgelaufen, seine Jacke und Hose zerschlissen. Unrasiert und ungewaschen hebt er seinen Daumen den vorbeifahrenden Fahrzeugen entgegen.
Doch anstatt anzuhalten und diese Jammergestalt mitzunehmen, geben die Fahrer Gas. Sie betrachten noch einmal den seltsamen Anhalter im Rückspiegel, schütteln den Kopf und setzen ihre Fahrt schleunigst fort. Robert flucht den Fahrzeugen hinterher und versucht, zu Fuß die nächste Stadt zu erreichen. Manchmal darf er sich auf die Ladefläche eines Traktors setzen und wenigstens für einige Kilometer seine Beine ausruhen.
Erst ein LKW-Fahrer, der ihn eine größere Strecke mitnimmt, redet ihm zu: »Junge, so kommst du nie voran. Du musst dich waschen, rasieren und vor allem bessere Kleidung tragen. Dann ist das Trampen kein Problem. Ich bin in meiner Jugend viel getrampt, und ich kam immer voran. Aber so wie du rumläufst, nimmt dich doch keiner mit – außer einem so alten Haudegen, wie ich es bin. Da muss man ja Angst haben, Läuse und Flöhe zu bekommen, wenn man dich so ansieht.«
»Ja, werde ich tun«, antwortet Robert artig, als er den Wagen verlässt.
Er zieht durch dunkle Gassen und übernachtet in baufälligen Baracken, menschenleeren Unterführungen und Bahnhöfen. Er streicht ziellos umher, stets auf der Suche nach einer Bleibe.
Dieses Leben treibt ihn geradezu in die Kriminalität. Der arme und sozial instabile Mensch wird zum Außenseiter der Gesellschaft. Instinktiv spürt er die Ungerechtigkeit der Welt, fühlt sich als Verlierer einer gigantischen Lebenslotterie. Er ist eine Niete, ein Loser.
Resigniert und erschrocken versucht er diesem Teufelskreis zu entkommen. Manchmal steht er mit großen Augen vor einer schummrigen Kaschemme und wünscht sich nichts mehr, als sich wenigstens einmal ein Bier leisten zu können. Doch er hat längst erkannt, dass er nicht einmal in diesen heruntergekommenen Kneipen ein Glas Bier bekommen würde.
Unüberbrückbar ist die Kluft zwischen ihm und den anderen und grölende Jugendliche, die seinen Weg kreuzen, verspotten ihn. Rastlos versucht er, diesen Attacken zu entgehen.
Als Robert den großen Bahnhof der Stadt betritt, herrscht längst keine Hektik mehr. Fast menschenleer ist die riesige Halle. Bildhübsche Mädchen lächeln verheißungsvoll von den Plakatwänden und werben für Fernreisen in alle Welt. Robert freut sich darauf, sich hier wenigstens ein bisschen aufwärmen zu können. In dem großen Wartesaal im Seitenflügel fällt er nicht auf. Die Obdachlosen und Penner der Stadt haben zu dieser vorgerückten Stunde den Saal in Besitz genommen, den einzigen öffentlich zugänglichen Raum, der in dieser kalten Jahreszeit geheizt wird.
»Bist wohl neu hier?«, spricht ihn ein etwa gleichaltriger Mann mit
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