Der wahre Hannibal Lecter
fünf Jahre in Armut. Robert Maudsley hat sich in seinem Leben als männliche Prostituierte und als Drogenabhängiger eingerichtet. Er nimmt eine innere, kaum mehr menschlich zu nennende Witterung auf, wie ein Raubtier auf der Suche nach Beute. Er will es allen heimzahlen, die ihn verlachten und verspotteten. Bestärkt durch die Kraft der Droge will er eindringen in eine Welt, die für ihn Gerechtigkeit und Vergeltung bedeutet. Doch es gibt auch Tage, an denen Robert Maudsley traurig und nachdenklich wird. Oft sitzt er über Stunden wie regungslos auf einer Parkbank. Es sind Tage wie der Geburtstag seiner Mutter.
Robert Maudsley hat nicht das Geld, um seiner Mutter Geschenke kaufen zu können. Anrufen kann er sie auch nicht, denn sie hat kein Telefon. Er wollte ihr Worte der Liebe über-mitteln, die er sich den ganzen langen Tag zusammenreimte.
Doch niemals hörte sie, was ihr Sohn ihr sagen wollte.
Robert Maudsleys erster Mord
Ein älterer grauhaariger Herr, Mitte sechzig, staunt nicht schlecht, als er bei seinem geliebten Spaziergang durch den Park ein gekrümmtes, in sich zusammengesunkenes Bündel Mensch an einem Baum findet. Der Mann hält sein Gegenüber zunächst für tot, doch schnell stellt er fest, dass dieses Etwas da vor ihm nur völlig apathisch und unansprechbar ist. Er lässt seinen Fund in ein Krankenhaus bringen. Dort merkt man sofort, dass es sich bei dem Patienten um einen Junkie auf Entzug handelt – ein unberechenbares Opfer seiner Sucht. Man versucht ihn mit Psychopharmaka ruhig zu stellen, bindet ihn am Bett fest. Doch seine Kraft ist unbändig, also spritzt man ihm noch stärkere Medikamente.
Resigniert und erschrocken stellen die Ärzte in den nächsten Tagen fest, dass sie mit diesem Monster von einem Menschen nicht fertig werden. Sie überstellen ihren Patienten an eine psychiatrische Klinik. Er nennt dieses Haus später nur »die Irrenanstalt«.
Der plötzliche Entzug macht ihn fast wahnsinnig. Die kommenden Tage sind ein Wechselspiel von schweren Hallu-zinationen, Anfällen von Selbstmitleid und unvorstellbaren körperlichen Schmerzen. Mit einer Zwangsjacke hält man die Kräfte dieses Riesen in Schach. Doch für den Geist gibt es keine Zwangsjacke, außer Medikamenten, die sein Körper aber nicht behält.
Erst nach Wochen kehrt Ruhe ein in das Leben des Robert Maudsley, und die Ärzte glauben, ihn als geheilt entlassen zu können. Man stellt ihn vor das große Tor des Instituts, ohne Geld und ohne Zukunft. Das Haus, das die Psyche eines Kranken doch zumindest stabilisieren soll, verlässt er ebenso verwahrlost, wie er es betreten hat. Seine dunklen Augen sehen wieder die Freiheit, doch sie finden keinen Halt.
Niemand hat seinen Hilfeschrei gehört, niemand hat es verstanden, in seine zerstörte Seele zu blicken. Man entlässt ihn, und er begreift, dass er frei ist. Die tiefe Kluft, die finstere Schlucht, die sich vor ihm öffnet und ihn für immer verschlingen wird, sieht er jedoch nicht. In diesem Augenblick des vollkommenen Glücks, als er die Welt wieder offen vor seinen Füßen liegen sieht, hat er, ohne es zu wissen, den Kampf gegen die körperlichen und mentalen Folgen des Entzugs bereits verloren.
Die Einfalt seines Geistes sucht Ruhe, doch er findet sie nicht. Er sucht nach Geborgenheit, nach Liebe, doch auch diese Mächte entziehen sich ihm. Er will nur noch vergessen. Sein Herz schlägt schnell bei dem Gedanken an die nächste Spritze, die ihn beruhigen wird.
Unstet zieht er durch die Straßen, wehrt sich nicht gegen den Wunsch, dessen Erfüllung seiner gequälten Seele wenigstens für kurze Zeit Frieden verspricht. Nur wenige Minuten nach dem Betreten einer Männertoilette ist der Deal besiegelt. Schon ein paar Stunden nach seiner Entlassung wird er rückfällig, Milliarden rosa und pinkfarbene Ameisen tanzen einen himmlischen Reigen vor seinen Augen. Bunte Träume erlebt er in den zartesten Pastellfarben, sie lassen ihn schweben, bis hinauf zu den höchsten Wonnen der Glückseligkeit. Selbst sein ausgemergelter Körper stimmt mit ein in den Jubelgesang, der nicht zu enden scheint. Robert ist eingetaucht in die endlose Stille, die ihm, dem Himmel nah, unsägliche Freuden bereitet.
Doch das Glück ist nicht von Dauer. Schnell zieht in der scheinbar friedlichen Welt jener eisige Wind auf, der seine Gedanken zurücktreibt zu Gewalt und Brutalität. Er fällt zurück auf die Erde und spürt erneut die Hysterie der Sucht, die er nicht zu bändigen vermag. Sein
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