Der wahre Hannibal Lecter
der Familie Maudsley. Der Vater Robert, ein LKW-Fahrer, ist Alkoholiker. Die Mutter Jean ist überfordert in allen Bereichen des Lebens. Das wenige Geld, das der Familie zur Verfügung steht, vertrinkt das Familienoberhaupt in den benachbarten Kneipen. An den Lohnzahltagen wartet die Mutter regelmäßig im Hof des Betriebes, in dem er arbeitet, um zumindest etwas von dem Geld abzubekommen. Doch meist kommt er seiner Frau zuvor.
Vorsorglich stellt er seinen LKW in einer Seitenstraße ab. Er nimmt einen Hinterausgang und zieht noch am selben Tag von einem Lokal zum anderen. Das Geld, das an diesen Tagen noch übrig bleibt, deponiert er bei den Wirten. So ist der Nachschub an Alkohol für einige Zeit gesichert. Es geschieht sehr oft, dass die Familie an den Zahltagen leer ausgeht. Dass seine Ehefrau schon seit langem nicht mehr im Lebensmittelladen an der Ecke bezahlen kann, interessiert Robert Maudsley wenig.
Wenn die Mutter seiner Kinder ihm deswegen Vorhaltungen macht, verprügelt er sie.
Die katastrophalen Zustände im Hause der Familie Maudsley und die zunehmende Verwahrlosung der Kinder bleiben auch den Nachbarn nicht verborgen. Sie verständigen das Jugendamt. Das Leben der Familie Maudsley wird aktenkundig.
Im Jugendamt gelangt man schnell zu der Überzeugung, einschreiten zu müssen. Zu haarsträubend sind die Vorwürfe der Nachbarschaft, als dass ein unverzügliches Vorgehen nicht gerechtfertigt wäre. Im März 1955 – Robert John ist zu diesem Zeitpunkt 21 Monate alt – klingeln zwei Mitarbeiter des Jugendamtes an der Tür des Familienhauses. Die Beamten sind erschüttert, als sie die Verwahrlosung des Haushaltes und die ungenügende Versorgung und Unterbringung der Kleinkinder sehen.
Überall liegt Dreck und Unrat. Viele Wände sind mit dem Kot der Kinder verschmiert. Die Küche gleicht einer Müllhalde. Unzählige verschimmelte Essensreste quellen aus den verdreckten Töpfen und Pfannen. Die Kinder sind in einem hilflosen Zustand – der Willkür ihrer Eltern ausgeliefert.
Mit Hilfe der alarmierten Polizei bringt man Robert, zwei seiner Brüder und seine ältere Schwester Brenda in ein Heim.
In den damals gefertigten Protokollen des Jugendamtes ist als Begründung für diese Maßnahme »Verwahrlosung« genannt.
Die Eltern sind nicht allzu sehr verwundert, dass man ihre Familie auseinander reißt und vier ihrer Kinder in staatliche Obhut nimmt. Gleichgültig sehen sie zu, wie man ihre Kinder aus dem Hause holt.
Das »Nazareth House« in Crosby Liverpool – eigentlich für Waisenkinder erbaut – wird für die vier Kinder zum Neubeginn eines menschenwürdigen Lebens. Nach einigen Jahren entschließt sich die Heimleitung dazu, die Maudsley-Kinder in regelmäßigen Abständen für einige Wochen in ihre Ursprungs-familie zurückzubringen, damit der Kontakt zur Familie nicht verloren geht. Doch Robert John Maudsley wird auch weiterhin vernachlässigt und schlecht behandelt. Sein Vater lässt nun keine Gelegenheit mehr aus, seinen Sohn seelisch und körperlich zu demütigen und zu misshandeln. Fast täglich malträtiert er ihn. Häufig sperrt er das kleine Kind tagelang in eine winzige Kammer, allein, ohne Spielsachen, nur sich selbst überlassen.
Aber damit nicht genug. Mit sieben Jahren wird der Junge zum Liebesdiener seines eigenen Vaters, der ihn nun zum ersten Mal vergewaltigt. Ein Mann, der 12 Kinder gezeugt hat, erniedrigt eines seiner Kinder, das nie mehr in seinem Leben damit fertig werden wird, auf grauenhafteste Weise. Es kann nicht allein der Alkohol sein, der ihn zu diesen Taten verleitet.
Er ist einer krankhaften Abartigkeit verfallen, deren Konsequenzen ihn nicht interessieren. Dieses Kind ist sein Eigentum, denkt er, und so kann er damit machen, was er will.
Robert John wird diese unglaubliche Erniedrigung nie mehr vergessen können.
Wer irgendwann einmal Frauen oder Mädchen kennen gelernt hat die von ihren Vätern oder Stiefvätern vergewaltigt wurden, weiß, dass diese Menschen nicht nur gedemütigt wurden: Ihr Leben wurde zerstört. Viele von ihnen sind kaum mehr lebensfähig, ihr ganzes Leben ein einziger Horror.
Auch Robert John Maudsley erging es so. Als Kleinkind konnte er noch nicht erkennen, was da mit ihm geschah und warum er leiden musste. Das Streicheln seiner Mutter tat nicht weh, war zärtlich und angenehm. Warum dann die Liebe seines Vaters nicht?
Alle diese Menschen, die man Serienkiller nennt, klagen über eines: über ihre Kindheit. Nur wenige von ihnen sind
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