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Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Titel: Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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sich knarrend. Der Hausherr kam die Leiter bis zur Hälfte herabgestiegen und warf dem Deserteur ein Bündel zu.
    Der Deserteur knüpfte es eilig auf; es erwies sich, dass dies tatsächlich die versprochenen zerlumpten Fetzen waren. Sogleich zog er sich um und betrachtete sich.
    Der Bursche in den Lumpen lachte laut auf, obwohl er selber nicht besser angezogen war, und auch der Engel lächelte: Der Deserteur trug jetzt eine dunkelblaue Hose, die knapp unter dem Knie abgeschnitten war, sowie das Oberteil eines Sarafans * , natürlich ohne Ärmel und von undefinierbarer Farbe, von der es in den Augen flimmerte.
    Der Deserteur sagte kein Wort und warf dem Hausherrn seine Militäruniform zu. Die Stiege knarrte und der Eingang zum Keller wurde geschlossen.
    „Zeit zum Schlafen …“, brummte der neu Eingekleidete und machte sich an der Lampe zu schaffen, worauf sie erlosch.
    Der Engel stand in völliger Dunkelheit da und hörte, wie sich die Bewohner des Kellers auf ihren Bänken einrichteten. Als es ruhig wurde, fragte er:
    „Wo kann ich mich hinlegen?“
    „Auf den Tisch!“, sagte der Deserteur aus der Dunkelheit.
    Gehorsam kletterte der Engel auf den Tisch, legte sich auf die Seite, zog die Beine unter sich, damit sie nicht hinunterhingen, und versuchte einzuschlafen. Es war aber ungemütlich und kalt, und so lag er etwas unbehaglich auf dem Tisch und gab sich seinen Gedanken hin im Versuch, das Leben, das ihm da begegnete, zu verstehen. So lag er auch dann noch da, als die Luft im dunklen Keller von Schnarchen, Schnaufen und irgendjemandes schläfrigem Gemurmel erfüllt wurde. Das Gemurmel erzählte von unglücklicher und ungeteilter Liebe und dem Engel wurde davon nur noch trauriger und ungemütlicher zumute. Mit einem leisen Schmerz horchte er so lange auf dieses Gemurmel, bis von oben her, aber nicht aus dem Zimmer, das sich über dem Keller befand, sondern von der ganzen Erde her, Lärm wie von einer Maschine zu vernehmen war, der zwar bald aufhörte, aber an seine Stelle traten andere Geräusche und Stimmen, die nun nicht mehr die ganze Erde betrafen, sondern nur mehr das Zimmer, das sich direkt über ihnen befand, und die Bretter des Bodens, über den jemand auf- und abging, fingen schuldbewusst zu knarren an. Vielleicht gingen auch mehrere, denn es waren einige Stimmen, und unter ihnen befand sich die leise Stimme des Hausherrn, öfters sprachen jedoch andere, die rauere Stimmen hatten. Dann wurde mit einem Mal alles ruhig, aber da öffnete sich auch schon der Eingang zum Keller und ein Lichtschein drang herunter.
    „He, ihr da, alle rauskommen!“, rief jemand von oben, und zur gleichen Zeit hörte man aus der Ecke ein lautes Ächzen wie von einem Albtraum.
    „Rauskommen! Genug herumgelegen!“, wiederholte die Stimme.
    Der Engel, der nicht geschlafen hatte, kletterte vom Tisch und trat in den von einem Lichtschein erhellten Flur, der von einer kleinen Lampe herrührte und in den Augen schmerzte. Er stieg die Treppe hinauf und blieb stehen, als er vier bewaffnete Rotarmisten vor sich sah.
    „Setz dich erst einmal hin!“ Einer von ihnen klopfte mit der Hand auf die Bank neben dem Tisch.
    Der Engel gehorchte.
    Inzwischen waren auch die anderen aus dem Keller aufgetaucht. Auch sie sollten sich an den Tisch setzen. Der älteste Rotarmist trat einen Schritt vor, betrachtete die seltsame Runde, und sein Blick blieb an dem abgeschnittenen Sarafan hängen, den der Deserteur trug. Er grinste.
    „Also“, sagte er, „wer kommt woher? Na?“
    Als keine Antwort erfolgte, zeigte der Rotarmist auf den Burschen in Lumpen, kniff die Augen zusammen und fragte:
    „Du! Von wo bist du geflohen?“
    „Aus der Kolchose“, antwortete der Bursche mit zitternder Stimme.
    „Aus welcher Kolchose?“
    „Aus dem ‚Iljitsch-Vermächtnis‘.“
    „Na so was …“, schüttelte der Rotarmist den Kopf. „Aus dem ‚Iljitsch-Vermächtnis‘ geflohen! Schämst du dich denn gar nicht?!“
    „Doch …“, sagte der Bursche und senkte den Kopf.
    „Ist das deine erste Flucht?“, bohrte der Rotarmist weiter.
    „Mhm“, sagte der Bursche.
    „Na gut“, seufzte der Rotarmist und richtete seinen Blick auf den Deserteur. „Und du?“
    „Ich bin nicht geflohen, ich bin geschäftlich unterwegs … und hier hab ich um ein Nachtquartier gebeten …“, sagte dieser.
    „Und wer hat dir ein Hemd aus einem Sarafan genäht? Deine Frau etwa?“ Der Rotarmist musste schmunzeln.
    „Ja, meine Frau …“, nickte der Deserteur.
    „Sagt

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