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Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Titel: Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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die ersten Gebäude vor dem Fenster auftauchten, fuhr Pawel hoch und machte sich zum Aussteigen bereit. Aber es kamen immer mehr Häuser und sie hörten gar nicht mehr auf, und da erst erfasste Dobrynin das Ausmaß der Hauptstadt. Er wartete also geduldig, und damit ihm das Warten nicht zu lang wurde, beschloss er, seinen Reisesack durchzusehen, den ihm seine Frau Manjascha für die Reise gepackt hatte. Als Erstes zog er die Axt hervor, die er zu guter Letzt von ihr bekommen hatte, dann ein Leinensäckchen mit Zwieback, etwas Hirse, einen Bleistift, ein leeres Haushaltsheft und ein loses Blatt Papier mit einigen Zeilen darauf. Er las sie durch. Manjascha bat ihn auf diesem Zettel, sie und die Kinder nicht zu vergessen und Briefe von allen Orten zu schreiben, an die es ihn beruflich verschlug. Sonst war nichts in dem Sack, und Pawel legte bis auf die Axt alles wieder dahin zurück. Er überlegte hin und her, was er mit der Axt machen sollte, es fiel ihm jedoch nichts ein. Einerseits war eine Axt ein nützlicher Haushaltsgegenstand, andererseits war es schwierig und irgendwie auch unangenehm, sie mit sich über Land zu führen. Er überlegte, sie im Zug zurückzulassen, doch diesen Gedanken verwarf er sogleich wieder, da sie doch jedem beliebigen Menschen in die Hände hätte fallen können, und was, wenn ein Mörder sie fände und damit jemanden umbringen würde? Nein, im Abteil konnte man sie nicht zurücklassen. Der Schaffnerin geben? Was aber sollte sie damit? Brennholz wurde in den Zügen nicht gehackt, denn man heizte mit Kohlebriketts, und für andere Zwecke war die Axt nicht zu gebrauchen. Also beschloss er, sie vorerst einmal mitzunehmen und erst später zu entscheiden, was er mit ihr machen würde.
    Und während er noch über die Axt nachsann, kam schon der Bahnhof in Sicht. Der Zug fuhr langsam ein. Pawel saß geduldig und ergeben auf der unteren Liege seines Abteils, in dem er die ganze Fahrt ohne Reisegefährten verbracht hatte.
    Endlich hielt der Zug an.
    Nachdem Pawel der Schaffnerin zum Abschied zugenickt hatte, stieg er aus dem Zug und sah um sich, wovon ihm sogleich schwindlig wurde. Schließlich war das etwas ganz anderes, als im Dorf oder auf einem Feld um sich zu blicken: ringsum mehrstöckige Häuser, Laternenmasten, die doppelt so hoch waren wie die im Dorf, Geräusche, Farben, ein Schwirren von Menschen und Autos. Das war es, wovon ihm schwindelte.
    „Das ist er! Das ist er!“, erklang in der Nähe ein freudiger Aufschrei.
    Pawel drehte sich um und erblickte einen atemlosen jungen Mann in einem graufarbenen Anzug mit Schirmmütze und einem Fotoapparat in der Hand. Während er ihn noch betrachtete, kamen drei weitere dazu. Und hinter ihnen am Bahnsteig entlang rollte lautlos ein schwarzes Automobil heran, das glänzte wie blank geputzte Stiefel.
    „Erzählen Sie von sich! Das ist für die ‚Iswestija‘!“ Einer der Herankommenden hielt ein Notizbuch und einen Stift in der Hand.
    „Ich wurde im Dorf Kroschkino in einer armen Familie geboren …“, sagte Dobrynin und beobachtete dabei aufmerksam das näher kommende Automobil. „Und jetzt bin ich verheiratet und habe zwei Kinder: Darjuschka und Petka …“
    „Sagen Sie für die ‚Stalnaja Magistral‘“, bat der Bursche im grauen Anzug und der Schirmmütze, „wie hat man das Ihnen erwiesene Vertrauen in Ihrer Kolchose aufgenommen?“
    „Gut hat man es aufgenommen …“ Pawel nickte und sah, wie aus dem Auto, das hinter den Korrespondenten stehen geblieben war, zwei würdevolle Männer ausstiegen. Einer von ihnen rückte seine bordeauxrote Krawatte zurecht, die verrutscht war, und der zweite beugte sich zum Wagenfenster hinunter und holte einen Strauß roter Nelken heraus. Hierauf blieben sie hinter den Korrespondenten stehen und warteten offensichtlich das Ende des Interviews ab.
    „Wie hat Ihnen die Zugreise in die Hauptstadt gefallen?“, fragte der dritte Korrespondent.
    „Gut …“, räumte Dobrynin ein.
    „Sind Sie schon vorher einmal mit einem Zug gefahren?“
    „Nein“, antwortete Dobrynin.
    „Kommen Sie zu einem Ende, Genossen Journalisten!“, sagte da plötzlich einer der Männer, die mit dem Wagen gekommen waren, streng, aber respektvoll. „Genosse Dobrynin muss sich von der Reise erholen. Er hat noch viel zu tun. Ich bitte um Ihr Verständnis!“
    Die Korrespondenten hatten offensichtlich sofort verstanden, und sie entfernten sich, nachdem sie sich verabschiedet und alles Gute gewünscht hatten.
    „Im Namen der

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