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Der Bund der silbernen Lanze: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Der Bund der silbernen Lanze: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Bund der silbernen Lanze: Historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Schulligen
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Kapitel 1
     
    14. Oktober 1147
     
    Noch immer jagte die Nachhut des abklingenden Sturms, der bei Tag mit heftigem Niederschlag über Trier gefegt war, blauschwarze Wolkenfetzen über den Abendhimmel. Als Laetitia ihren Umhang überwarf und auf die Gasse trat, löste Stille das vorherige Peitschen der Regengüsse ab und breitete sich über die erschöpfte Stadt aus.
    Keine Menschenseele begegnete ihr auf ihrem Weg, der sie nach Norden in Richtung Simeonskirche führte. Obwohl das schwächer flackernde Wetterleuchten am Horizont zusehends Finsternis Platz machte und alle Konturen im Nichts zerfließen ließ, setzte Laetitia entschlossen einen Fuß vor den anderen. Es war kühl und sie zog ihren Umhang fester um den Hals. Als sie am Marktplatz um die Ecke bog, leuchtete ihr aus dem zweiten Arkadengang der Simeonskirche der Schein einer einsamen Fackel entgegen, während das erste Geschoss dunkel dalag. Die Kirche ummantelte das von den Trierern ›Porta Nigra‹ genannte Stadttor, das noch aus der Zeit der heidnischen Römer stammte. Auf wie viele Schicksale der riesige Westturm in Hunderten von Jahren wohl herabgeblickt hatte? Jetzt kamen seine halbrunden Fenster Laetitia wie die leeren Augenhöhlen eines Totenschädels vor, die ihr bedrohlich entgegenstarrten. Klang nicht das Wispern der Baumkronen, in denen sich eine Windböe brach, wie eine Warnung?
    Laetitia schöpfte tief Luft. Keinesfalls durfte sie zulassen, dass Furcht in ihr aufkam und sie von ihrem Vorhaben abbrachte. Sie musste weiter. Doch spürte sie etwas Ungewisses im Nacken und warf einen forschenden Blick über die rechte Schulter. Eigenartig. Sehen konnte sie nichts, aber sie hätte auf ihr Leben geschworen, dass jemand hinter ihr war. Sie hielt ihre Fackel höher. Glitt nicht ein Schatten über die Mauer? Erneut hielt sie inne, um in die Finsternis hineinzuhorchen. Besser nicht nochmals umwenden – nur lauschen. Nichts. Einzig das Blut, das in ihren Schläfen pulsierte, und ihr Atem.
    Ihre Hand tastete nach dem Beutel aus weichem Rindsleder, den sie unter ihrem Umhang am Gürtel trug. Durch die gegerbte Tierhaut spürte sie die geschliffenen Kanten der drei Smaragde, die im schwächsten Licht heller funkelten als jeder Stern. Unzählige Male hatte sie sich während der langen Stunden ihrer einsamen Reise von der Champagne gefragt, woher die wertvollen Steine wohl stammen mochten. Ob die Äbtissin tatsächlich gewagt hatte, sie gewaltsam aus dem Reliquienschrein der heiligen Bathilda herauszubrechen? Unvorstellbar, welches Sakrileg sie damit begangen hätte! Doch eine natürlichere Erklärung dafür zu finden, wie sie in den Besitz solcher Reichtümer gekommen sein mochte, wollte Laetitia nicht gelingen. Bei der Vorstellung eines dermaßen ungeheuerlichen Frevels wie des Schändens eines geweihten Schreins biss sich Laetitia so fest auf die Unterlippe, dass sie Blut schmeckte. Aber wer war sie, eine Äbtissin infrage zu stellen? Ihr stand nicht zu, sie zu verurteilen. Wenn ihr die Briefe derart viel galten, dass sie sich auf das Schlimmste versündigte, um an genügend Mittel für deren Auslösung zu kommen, hatte Laetitia dies nicht zu werten. Es zählte Einzig, dass sie den geheimen Schatz bis zum Erreichen ihres Zielorts sicher verwahrte und im Gegenzug die Briefe erhielt. Und dazu war sie fest entschlossen.
    Laetitias Blick glitt an ihrem lumpigen Mantel herab, den sie einer Bettlerin abgekauft hatte und der das fein gewobene Tuch ihres Gewands verhüllte. Tastend vergewisserte sie sich, dass keine Strähne ihres golden glänzenden Haares hervorlugte, welches sie zuvor sorgsam unter eine Haube gestrichen hatte. Nein, hinter dieser Verkleidung eines vermeintlichen Lumpenmädchens würden weder fremde Männeraugen nach Anmut noch lichtscheues Volk nach einem Schatz wie den drei glitzernden Smaragden suchen. Laetitia schüttelte den Kopf: Ihre Sorge musste unbegründet sein. Gewiss trugen die neuen Eindrücke, die ihr auf der langen Reise den Kopf zum Schwirren gebracht hatten, Schuld daran, dass die geschärften Sinne ihr jetzt einen Streich spielten. Sie richtete den Blick zum wolkenverhangenen Himmel, den kaum ein Stern erleuchtete. Auch das Licht ihrer Fackel wurde von der Dunkelheit, in der alles düster verschmolz, beinahe vollkommen aufgesogen. »Du wirst es schon schaffen«, sprach sie sich Mut zu.
    Ein Rascheln zu ihrer Linken. Laetitia erschrak und stand einige Sekunden wie betäubt. Die Ahnung, dass sich jemand an ihre Fersen geheftet

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