Der Wald - ein Nachruf
Festredner auf der Bundestagung der Arbeitsgemeinschaft Naturgemäße Waldwirtschaft im April 2012 vor Hunderten öko logisch wirtschaftender Förster, dass man von Waldschutzge bieten nichts mehr lernen könne, da alles bekannt sei. Weitere Schutzflächen seien daher überflüssig, führte er unter großem Beifall aus. Beifall von Ökoförstern? Ja, denn in den letzten Jahren verstärkt sich selbst bei dieser Gruppe der Trend, dass nur mehr wirtschaftliche Argumente zählen. Damit kommt die zweite Lebenshälfte der Bäume jenseits der 200 Jahre, gar die Krankheits- und Todesphase, im beruflichen Denken kaum noch vor. Kritische Stimmen waren neben meiner eigenen nur von wenigen anwesenden Naturschützern zu vernehmen.
Wie sehr diese Denkweise das Handeln bestimmt, erfuhr ich vor zehn Jahren in meinem Revier. Ich hatte der Gemeinde vorge schlagen, in ihrem Wald einen Laubwald unter Schutz zu stellen. Hier war nämlich etwas Faszinierendes zu beobachten. Die vor rund 120 Jahren gepflanzten Eichen wurden von wild nachwachsenden Buchen in die Zange genommen und allmählich umgebracht. Die jungen Bäume wuchsen in die Krone der alten hinein und nahmen ihnen das Licht. Eine regelrechte feindliche Übernahme war hier zu sehen, allerdings in extremer Zeitlupe. Ich schätze, dass es den Buchen erst in 200 Jahren gelungen sein wird, das Ruder vollständig zu übernehmen. Und dann wird dort wieder das stehen, was vor dem gepflanzten Eichenforst natürlich war, ein Buchenurwald.
So ein Prozess funktioniert aber nur dann, wenn sich der Mensch nicht einmischt. Ansonsten werden durch das Fällen von Bäumen die Spielregeln verändert und Exemplare unterstützt, die anderenfalls vielleicht wegen Lichtmangel eingehen würden. Für mich war klar, dass wir das nicht machen würden und der Wald sich selbst überlassen bleiben sollte. Die Gemeinde erklärte ihr Einverständnis, mein damaliger Chef allerdings nicht. Der Bestand müsse erst einmal gründlich gepflegt, also durchforstet werden, denn so, wie er jetzt sei, könne man ihn nicht schützen. Schade, denn durch eine Durchforstung würde das Projekt in seiner natürlichen Entwicklung um Jahrzehnte zurückgeworfen. Anweisung ist Anweisung und so nickte ich nur, dachte aber im Stillen: »Das mache ich nicht.« Mittlerweile habe ich den Arbeitgeber gewechselt, bin Förster der Gemeinde Hümmel und mein Chef ist der Bürgermeister. Mit ihm bin ich einig: Dieser Wald wird nicht angetastet. Und so tobt der Kampf zwischen Eichen und Buchen bis heute.
Die Einstellung, dass ein Wald Pflege braucht und ungenutzt krank würde, ist auch ursächlich für die Holzernte in Naturschutzgebieten und Nationalparks. Ganz offen wird protestieren den Umweltorganisationen entgegengehalten, man könne von der Natur nichts mehr lernen. Alle Prozesse seien verstanden und eine geregelte Forstwirtschaft sei immer noch das Beste für den Wald. 44, 45 Und diese offizielle Haltung wird aufwendig beworben. Nicht nur in unzähligen Hochglanzbroschüren, sondern mit vielen Veranstaltungen vor Ort, bei denen der jeweilige Förster mit der Bevölkerung auf Tuchfühlung geht. Unter dem Stichwort »Treffpunkt Wald« können Sie im Internet aus einem ganzen Strauß von Angeboten wählen. 46 Fackelwanderungen, Lehrgänge, Nistkastenbau und Ferienfreizeiten – kaum etwas zum Thema Natur fehlt. Die Seite www.treffpunktwald.de wird von den staatlichen Forstverwaltungen Deutschlands betrieben, und wie viel Geld man sich das kosten lässt, möchte ich einmal kurz über schlagen. Durchschnittlich zehn Prozent der Arbeitszeit eines Försters wird für die Imagepflege aufgewendet. Bei geschätzten 3 000 Kollegen im öffentlichen Dienst und Kosten von 60 000 Euro pro Stelle wären dies 18 Millionen Euro allein in Deutschland. Amtlich heißt das Umweltbildung und dient der Aufklärung der Allgemeinheit. Bei kritischen Fragen wird dabei regelmäßig verharmlost. So ist es auch Laien aufgefallen, dass die großen Holzerntemaschinen enorme Schäden verursachen. Doch unter der fachkundigen Erklärung der Verantwortlichen, dies alles diene der Gesunderhaltung des Walds, fällt der Protest schnell in sich zusammen.
Um auch die Jüngsten für sich zu begeistern, werden Waldjugendspiele veranstaltet. Ganze Stufen der benachbarten Schulen laden die Forstämter dazu ein. Da wird gemalt, gebastelt, gespielt und geraten. Würstchen vom Grill, Limo und Cola, alles gratis ausgeteilt und obendrauf noch Preise und Urkunden – da strahlen
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