Der Wald - ein Nachruf
also weniger als ein halbes Fußballfeld, ließe sich reden, alles andere gefährde Arbeitsplätze. Lediglich Bestände ohne wertvolle Stämme, ohne Gefahr durch umstürzende Bäume für Straßen und Waldparkplätze, ohne das Risiko von Borkenkäfervermehrungen dürfen etwa in Mecklenburg-Vorpommern ein wenig größer gewählt werden – bei so vielen Einschränkungen fallen aber etliche schützenswerte Bestände durch das Raster. 40
Die aktuelle Diskussion über Biotopbäume und ihren Platzanspruch offenbart eine weitere Schwachstelle: In Wirtschaftswäldern findet die Altersphase von Bäumen nicht statt. Allein schon aus Sicherheitsgründen dürfen Buchen, Eichen und Fichten nicht alt werden, denn die Forste sollen jederzeit gefahrenarme Arbeitsplätze sein. Daneben würde kaum ein Waldbesitzer dicke Stämme einfach Spechten oder Pilzen überlassen, wenn sie auch Geld bringen könnten. Vom Eigentümer eines großen bekannten Ökobetriebs stammt der Ausspruch: »Wenn der Specht keine Miete zahlt, fliegt er raus!« Die Aussage, die ich selber schon gehört habe, wurde vor Kollegen getätigt, die anlässlich einer Exkursion vor einem dicken Buchenstamm standen. Die auslösende Frage war, was denn passieren würde, wenn sich ein Specht ausgerechnet das wertvolle Holz als Bauplatz aussuchte. Ich war ob dieses unverblümten Statements fassungslos und seither glaube ich nicht mehr daran, dass Schutz durch Nutzung möglich ist.
Ein anderes vielfach missbrauchtes Schlagwort ist das der Artenvielfalt. Sie ist für sich genommen kein sinnvolles Argument für Naturschutz. Wozu wäre es auch gut, möglichst viele Arten auf einer bestimmten Fläche zu haben? Die höchste Vielfalt verschiedener Tiere können Sie im Zoo bewundern. Dort drängen sich pro Quadratkilometer mehr Spezies, als auf jedem anderen Flecken unseres Planeten. Ist der Zoo damit das ideale, überall anzustrebende Biotop? Wohl nicht – und Ähnliches gilt für die freie Landschaft. Schützenswert sind heimische Arten, die in ihrer Population bedroht sind, etwa die Wildkatze oder auch seltene Hornmilben. Um sie zu erhalten, müssen entsprechende Laub wälder geschützt oder neu geschaffen werden. Das steht allerdings im Widerspruch zur Bewirtschaftung der Forste. Und so argumentiert die Forstwirtschaft immer wieder mit der Artenvielfalt. Wenn in einen Buchenwald etwa zusätzlich nordamerikanische Douglasien gepflanzt werden, so existieren dort schlagartig dop pelt so viele Baumarten wie zuvor. Das Ganze wird dann als Mischwald bezeichnet, ein Begriff, der in der Bevölkerung mittlerweile ein positives Echo hervorruft. Mit den fremden Bäumen reisen weitere nicht heimische Arten ein. Fichten beispielsweise haben hügelbauende Waldameisen, Fichtenkreuzschnäbel, Spechte oder Auerhühner im Schlepptau. Wird gar im Kahl schlagverfahren gearbeitet, so kommen noch jede Menge Schmetterlinge und andere Offenlandarten hinzu. Der einstige Wald wird dann tatsächlich zu einer Art Freilandzoo, in dem es nur noch das Tüpfelchen auf dem i ist, wenn Jäger Muffelschafe oder Damhirsche ausset zen. Das mögen Förster eigentlich gar nicht, aber letztendlich gelten hier die gleichen Argumente, mit denen sie ihre Plantagenwirtschaft rechtfertigen. Dabei sind es nur die gut sichtbaren Arten, die zunehmen. Im Boden, dort, wo niemand hinschaut, verschwinden Springschwänze, Asseln oder Käfer. Unter dem Strich verarmt die Landschaft, obwohl überirdisch ein buntes Sammelsurium von Tieren eine heile Welt vorgaukelt.
Es kann also nicht um Artenvielfalt um jeden Preis, sondern nur um Arterhaltung gehen. Und wir Mitteleuropäer haben nun mal nicht die Verantwortung für Giraffen, Waldameisen oder Muffelschafe, sondern vor allem für die Tiere der heimischen Bu chenurwälder. Denn im Gegensatz zu vielen Kulturfolgern hat dieses Ökosystem ein relativ kleines Verbreitungsgebiet mit Schwer punkt Mitteleuropa und sollte hier vorrangig geschützt werden. Dafür können wir nur eines tun: Buchenurwälder schaffen und erhalten. Leider gibt es davon bisher bei uns keinen einzigen Quadratmeter. Aber das können wir ändern.
Rettet die Urwaldböden!
Ich möchte Sie noch einmal nach Brasilien entführen. In der letzten Zeit überschlagen sich dort die Negativschlagzeilen. Nachdem die Rodungen einige Jahre zurückgingen, steigt das Tempo der Entwaldung wieder an. Ganz unverfroren greifen Plantagenbesitzer nach den unerschlossenen Regenwäldern, um auch hier Soja und Zuckerrohr anzubauen.
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