Der Wald - ein Nachruf
sichtbar. Auch hatten Waldarbeiter in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder einzelne Buchen gefällt und sie zu Brennholz verarbeitet. Einen Kahlschlag aber, gar eine Befahrung mit schwerstem Gerät hatte es anscheinend nie gegeben.
Diese Bestände mussten gerettet werden! Eine Teilfläche konnten wir in einen Bestattungswald umwandeln, aber was war mit der Mehrzahl der alten Buchenwälder, die abseits von Straßen und Wegen oft auf steilsten Hängen standen? Diese waren ausweislich jahrhundertealter Karten immer Buchenwald gewesen, dort war mit Sicherheit noch nie eine Maschine hindurchgerollt, da das Gefälle bisher zu groß war, doch neuere Technik stand schon bereit. Ich selbst hatte nie vor, die Stämme anzutasten, aber diese Absicht ist auf Dauer nicht viel wert. Denn selbst wenn ich sie verschonen würde, was würde dereinst mein Nachfolger damit machen? Das Forstamt, als Fachbehörde immer noch zuständig für die Überwachung der ordnungsgemäßen Forstwirtschaft in Hümmel, mahnte immer wieder, nun zur Endnutzung zu schreiten, sprich, die alten Bäume zu fällen. Die Zeit drängte und da spielte uns der Zufall in die Hände.
Ein Finanzdienstleister aus Bonn, der in ökologische Waldnutzung in den Tropen investierte, bat mich um eine Führung für seine Mitarbeiter. Nach dem Waldbegang meinte der begeisterte Geschäftsführer, dass wir unbedingt etwas zusammen unternehmen müssten. Aus dieser Zufallsbekanntschaft wurde das Projekt »Wilde Buche«. 42 Es ermöglicht Firmen, 50-jährige Schutzverträge für die alten Buchenwälder abzuschließen mit dem Vertragszweck, den Wald sich selber zu überlassen. Die Gemeinde Hümmel erhält den Holzwert der Bestände ausgezahlt, die Firma kann etwas für die Imagepflege tun und der Wald bleibt mindestens ein halbes Jahrhundert jeglichem Zugriff entzogen. Die ersten Verträge lassen hoffen. So legte die Firma Edding eine eigene Stifteserie auf, von deren Verkaufserlös ein Teil in unser Reservat investiert wird, und der Büroartikelhersteller Zweckform reservierte sich ein kleines Waldstück hinter unserem Forsthaus.
Bei vielen Förstern ernten meine Ideen nur ein Kopfschütteln, denn für sie ist ein geschützter Wald ein Unding. Wo keine Bäume mehr gefällt werden dürfen, wo Spechte, Hornmilben und Wildkatzen das Zepter in die Hand nehmen, da empfinden sie tiefstes Misstrauen. Bei mir ist das anders, ich fühle mich erst jetzt so richtig wohl in meiner Haut. Ein typischer Vertreter meiner Zunft bin ich so nicht mehr, aber das stört mich nicht: Meine Berufswahl beruhte ja ohnehin von Anfang an auf einem Missverständnis.
Strippenzieher im Wald
Wenn Sie sich fragen, warum Sie von dem Treiben hinter den Kulissen, den tatsächlichen Abläufen in den heimischen Wäldern, bisher so wenig gehört haben, so liegt dies an einer ausgefeilten Strategie der Forstverwaltungen. Und an einem Irrtum, der in den Köpfen der Menschen spätestens seit dem Heimatfilm »Der Förster im Silberwald« festhängt. Es gibt wenige Berufe, die ein positiveres Image haben, und oft höre ich während einer Führung: »Eigentlich wollte ich auch Förster werden.« Umwelt schützer, Baumhirte, Wildtierpfleger, all das sollen meine Kollegen und ich verkörpern. Und weil das selbst staatliche Umweltbehörden denken, überlässt man die Verantwortung für die Schöpfung und die Kontrolle der Einhaltung der Umweltgesetze uns Waldbewirtschaftern. Zudem glaubt man Förstern fast alles, was sie im Zusammenhang mit Wald erzählen. Und das ist eine ganze Menge …
Im Vordergrund aller den Wald betreffenden PR steht die Behauptung, er sei ein pflegebedürftiger, schwacher Patient. Nur die helfende Hand des Försters bewahre ihn vor Krankheit und Zerstörung. Die Forstverwaltungen wüssten besser als die Natur, welcher Baum an welchem Ort ideale Bedingungen findet. Zu dem würden alte Bäume rechtzeitig entfernt und durch junge, vitale ersetzt, damit das Ökosystem voll funktionsfähig bleibt. Ohne Förster kein Wald – so das einfache Credo. 43 Und das ist schlicht und ergreifend Blödsinn. Wer pflegt denn den brasilianischen Regenwald, wer die endlosen Weiten Sibiriens? Hat die Natur nicht in Jahrmillionen bewiesen, dass sie alles bestens zu regeln versteht? Wir dagegen haben noch nicht einmal ansatzweise erforscht, wie ein Wald in seinen Einzelheiten funktioniert. Und dennoch maßt sich zumindest ein Großteil meiner Kollegen die Behauptung an, Bescheid zu wissen. So erklärte zum Beispiel ein
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