Der Wald - ein Nachruf
Leider werden sie neuerdings von der Regierung geradezu ermuntert, dies zu tun. Umweltverbände fordern ihre Mitglieder auf, Onlinepetitionen zu unterschreiben, um wenigstens einige Gebiete zu retten. Ist es schon fünf vor zwölf?
Während in Indonesien eine Insel nach der anderen brutal entwaldet wird, während etwa auf Borneo der Dschungel weitestgehend Ölpalmplantagen gewichen ist, ist die Welt in Brasilien zurzeit noch mehr oder minder in Ordnung. Bisher fielen »nur« 20 Prozent des Regenwalds der Motorsäge und Brandrodungen zum Opfer, der größte Teil steht noch intakt entlang des Amazonas und seiner Nebenflüsse.
Und bei uns? Bis auf die Hochlagen der Gebirge herrschte einst Buchenurwald vor, von dem nichts mehr übrig geblieben ist. Kein einziger Quadratmeter. Am nächsten kommen ihm alte Laubwälder, die über 160 Jahre alt sind. Hier findet sich noch ein schwacher Abglanz der einstigen Wälder, hier konnten etliche Urwaldarten überleben.
Das Bundesamt für Naturschutz stellte 2007 fest, dass alte Buchen nur noch auf 1,6 Promille der Fläche Deutschlands vorhanden sind – statt auf den ursprünglichen 70 bis 80 Prozent. 41 Und diese winzigen Reste sind vielfach genutzte Wälder, stark aufgelichtet und durch Maschinenbefahrung ramponiert. Nur ein Teil befindet sich in Schutzgebieten, etwa dem Nationalpark Hainich in Thüringen. Der Rest wird ganz normal genutzt, also spätestens mit 180 Jahren gefällt und an die Sägeindustrie verkauft. Ein Teil der Stämme wird exportiert, wobei China der Hauptabnehmer ist. Insofern handeln wir wie ein Entwicklungsland, plündern unsere wertvollsten Ökosysteme und handeln den Rohstoff global.
Während Umweltverbände und Politiker darüber streiten, welcher Wald aus dem Verkehr gezogen werden soll, spielt sich unter den Bäumen ein weiteres Drama ab. Wenn wir an den Boden denken, der durch die Bewirtschaftung unrettbar zerstört wird, so muss unser Augenmerk zuerst den intakten ehemaligen Urwaldflächen gelten. Es gibt noch Wälder, in denen seit Jahrtausenden ununterbrochen Bäume stehen, ohne dass im Mittelalter ein Kahlschlag erfolgt ist oder Maschinen zwischen ihnen herumgefahren sind. Echte Urwälder sind das nicht mehr, denn überall in Europa wurde schon Holz gefällt. Standen aber durchgehend hei mische Buchen und Eichen auf unberührter Erde, so sind hier zumindest große Teile der Bodenarten eines Urwalds erhalten geblieben. Damit bestehen die besten Chancen, auf diesen Flächen wieder natürliche Wälder entstehen zu lassen. In einer Aufstellung der schützenswerten Biotope müssten solche alten Waldböden an erster Stelle stehen. Das ist leider nicht der Fall und die Lage ist noch viel schlimmer. Denn es ist gar nicht bekannt, wo sich diese Wälder befinden. Da eine systematische Untersuchung bisher nicht stattgefunden hat und die einzelnen Befunde Zufallstreffer sind, tappt man noch im Dunkeln. Und was man nicht kennt, kann man auch nicht schützen. In der Folge werden laufend auch die letzten intakten Böden zerstört, da arglose Förster diese von Maschinen überrollen lassen.
Dass es tatsächlich überhaupt noch Urwaldböden gibt, weiß ich aus meinem Revier. Und dass ich sie entdeckt habe, war ein großer Zufall. In Hümmel gibt es noch rund einen Quadratkilometer alte Laubwälder, überwiegend mit Buchen bestanden. Ich liebe die silbergrauen, glatten Stämme, die den Wald in eine Naturkathedrale verwandeln. Nach den staatlichen Plänen hätte ich sie in den letzten 20 Jahren abholzen sollen. Und das hat mir nicht gefallen. Also überlegte ich mir andere Nutzungsmöglichkeiten, um sie vor der Motorsäge zu retten. Eine Überlegung waren Wald bestattungen, weshalb ich ein geologisches Gutachten anfertigen ließ, um festzustellen, ob man überhaupt tief genug graben könnte, um eine Urne zu versenken. Immer wieder besuchte ich die Geologen und fragte nach Besonderheiten. Sie erzählten von ihren Befunden, die mich elektrisierten, denn es handelte sich of fensichtlich um unberührtes Erdreich. Kein Hinweis auf Vieh trieb oder Ackerbau. Der mächtige Oberboden ließ auf einen völlig störungsfreien Verlauf der Waldgeschichte schließen, die Buchen standen also vermutlich schon seit Jahrtausenden ohne Unterbrechung an Ort und Stelle. Zwar hatte ein Köhler vor rund 300 Jahren hier den einen oder anderen Baum zu Holzkohle verarbeitet und seine Spuren, vor allem die kreisrunde, ebene Köhlerplatte, auf der einst der Meiler gestanden hatte, waren noch
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