Der Wald ist schweigen
dem Wald. Sie schmeißen ihren Müll ins Unterholz. Sie trampeln alles nieder. Sie schlagen sich ins Gestrüpp, wenn sie lebensmüde sind, weil sie glauben, dass es im Wald einsam ist. Sie hängen sich auf, erschießen sich oder fressen ihre Tabletten und kümmern sich einen Dreck darum, dass es Förster gibt, Jäger, Spaziergänger, die sie früher oder später finden müssen. Theoretisch wusste ich das immer. Die Toten im Wald sind gewissermaßen ein Berufsrisiko für mich. Aber ich habe das nicht ernst genommen, bis vor kurzem habe ich das einfach nicht ernst genommen. Ihr Herz rast und sie beginnt zu schwitzen. Ihre Zunge klebt am Gaumen wie Sandpapier. Das Koffein, denkt sie. Ich vertrage es nicht. Ich hätte den Kaffee nicht trinken sollen. Sie räuspert sich.
»Entschuldigen Sie, haben Sie zufällig noch etwas anderes zu trinken als Kaffee?« Ihre Stimme klingt heiser.
Der Adjutant fördert eine Büchse Mineralwasser aus seinem Rucksack hervor, die er zu Diana herüberschiebt.
»Danke.« Sie öffnet die Dose. Wasser schießt zischend aus der Öffnung. Achtlos wischt sie es mit dem Ärmel von der Tischplatte und trinkt, bis die Büchse leer ist. Es tut gut, aber ihre Gedanken jagen immer noch im Kreis. Ich will einfach meine Ruhe. Ich hätte nicht auf diesen Hochsitz klettern sollen. Scheiße, jetzt ist auch noch mein Ärmel nass. Ich will heim.
»Die Leiche hatte genau so blonde Haare wie Sie.« Die Stimme des Mannes klingt überrascht, als wäre ihm dies eben erst aufgefallen.
Halt den Mund, das geht dich überhaupt nichts an, will sie sagen, beherrscht sich aber.
»Viele Leute haben blonde Haare.«
Der Adjutant scheint nicht wirklich überzeugt zu sein, sagt aber nichts mehr. Seine Frau seufzt. Wieder schleicht die Zeit dahin wie eine Schnecke. Wie lange will die Polizei sie noch in diesem stickigen Bus warten lassen?
Das Ehepaar beginnt jetzt ebenfalls zu picknicken. Der Mann zieht sein Fahrtenmesser aus dem Gürtel und zerteilt seine Brote in kleine Häppchen, die er auf der Messerspitze in den Mund balanciert. Die Frau schmatzt leise. Ich will hier raus, denkt Diana. Ich sollte längst Ronja abgeholt haben. Ich will …
Eine Frau öffnet die Schiebetür des VW-Busses. Sie trägt einen schwarzen Ledermantel, der augenscheinlich nicht sehr neu ist, und verwaschene Jeans. Ihr Gesicht ist fleckig, über und über mit riesigen Sommersprossen übersät. Ihr Haar ist schulterlang und struppig, ein undefinierbares Hellbraun.
»Sie haben den Toten gefunden?« Sie sieht Diana auf eine Art an, die verrät, dass sie die Antwort schon kennt. Ihre Augen sind grau mit einem merkwürdig türkisfarbenen Rand um die Iris.
Diana nickt.
»Krieger, Kripo Köln.« Die Gefleckte lächelt ein Lächeln, das ihre seltsamen Augen nicht erreicht. »Ich weiß, es ist unangenehm, dass Sie warten mussten. Leider lässt sich das nicht vermeiden.« Sie hustet. »Ich möchte mich mit Ihnen unterhalten. Einzeln.« Sie zieht die Schiebetür ganz auf. »Ich schlage vor, wir beginnen mit Ihnen.« Sie wendet sich an das Ehepaar. »Wenn Sie bei meinem Kollegen warten würden?«
Ein uniformierter Polizist führt die beiden weg. Die Gefleckte klettert in den Bus und setzt sich Diana gegenüber. Der grauhaarige Beamte, der sich vorhin als Edling vorgestellt hat, schiebt sich neben Diana auf die Sitzbank.
»Sie heißen Diana Westermann? Wohnhaft im alten Forsthaus in Unterbach?«
»Warum wohnen Sie in dem Forsthaus?« Edling beäugt Diana misstrauisch. »Vermietet der alte Hesse jetzt Zimmer?«
»Ich wohne dort, weil ich das Revier leite. Alfred Hesse ist seit Februar pensioniert.«
»Sie sind Försterin?« Die sommersprossige Kommissarin hat den Wortwechsel mit schnellen Blicken beobachtet. Nun scheint sie entschlossen zu sein, das Gespräch wieder an sich zu reißen. »Dann kennen Sie das Gelände hier sicher gut?«
»Mein Revier ist über 1500 Hektar groß. Ich arbeite hier erst ein halbes Jahr.«
»Heißt das ja oder nein?«
»Das Schnellbachtal kenne ich einigermaßen.«
»Gut.« Ein sparsames Lächeln.
»Da ist der alte Hesse also auch pensioniert.« Der Grauhaarige ist offenbar nicht so schnell bereit, das Thema zu wechseln. Die Kommissarin hüstelt und zieht die Kappe von einem teuer wirkenden, dunkelblau marmorierten Füllfederhalter.
»Ich denke, es ist am besten, wenn Sie der Reihe nach erzählen, was heute morgen passiert ist. Lassen Sie sich Zeit. Jedes Detail kann für uns hilfreich sein.«
»Ich war
Weitere Kostenlose Bücher