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Der Wald ist schweigen

Der Wald ist schweigen

Titel: Der Wald ist schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Mustermann
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joggen.«
    »Wann genau sind Sie losgelaufen?«
    »8.30 Uhr, ich war spät dran.« Das klingt beinahe entschuldigend. »Normalerweise laufe ich früher, aber gestern Abend war ich in Köln auf einer Party. Ich war spät dran und Ronja war nicht da, da habe ich verschlafen.«
    »Ronja?«
    »Mein Hund. Sie ist noch jung. Ich lasse sie im Sonnenhof, wenn ich in die Stadt muss.«
    »Okay, Sie sind also um halb neun losgelaufen.«
    »Ich hab mich für den Weg durchs Tal entschieden, weil ich Ronja unterwegs abholen wollte. Ich laufe die Strecke öfter, also hab ich nicht besonders auf den Weg geachtet.« Diana denkt an die Wildgänse und wie ihre Rufe geklungen haben, an den transparenten Himmel. Das wird die Polizei wohl kaum interessieren. »Am Erlengrund hab ich dann die Krähen gesehen.«
    Sie beginnt wieder zu frieren.
    »Was genau haben Sie dann gemacht?« Die Kommissarin lässt Diana nicht aus den Augen.
    »Ich hab nicht wirklich nachgedacht. Bin einfach losgelaufen, um nach dem Rechten zu sehen. Es ist schließlich mein Hochsitz.«
    Es ist ein Fehler, dass sie das gesagt hat, merkt sie sofort. »Ich meine, er ist eine forstliche Einrichtung und ich benutze ihn oft.«
    Der Blick der Kommissarin fliegt für einen kurzen Moment zu ihrem Kollegen.
    »Sie jagen also?«, fragt der, als hätte er ein Stichwort bekommen. Es klingt, als würde er fragen: ›Sie morden also öfter‹?.
    »Es gehört zu meinem Job, mein Revier zu bejagen.« Diana verschränkt die Arme vor der Brust. »Das ist doch kein Verbrechen, oder?«
    »Nun regen Sie sich nicht gleich so auf, mein Kollege hat Ihnen doch nur eine Frage gestellt.«
    Vorhin haben dir die Fragen deines Kollegen doch selbst nicht gefallen, denkt Diana. Sie setzt sich ein wenig aufrechter hin.
    »Ich will endlich heim.«
    »Das kann ich verstehen. Aber leider sind die Umstände so, dass Sie zuerst unsere Fragen beantworten müssen. Und je eher Sie das tun, desto eher können Sie gehen.«
    »Ich bin also zu dem Hochsitz rübergelaufen. Ich hab gar nicht nachgedacht, bin einfach hingelaufen, die Leiter hoch, und dann lag er da. Es war auf einmal wie ein Horrorfilm. Ich hab immer noch nicht nachgedacht. Bin einfach wieder runter und weggerannt, und dann ist mir schlecht geworden und ich hab mich übergeben. Das Nächste, was ich mitbekommen habe, war, dass dieser Mann, dieser Herr Wiehl, vor mir stand und auf mich einredete.«
    Draußen erklingt Motorengeräusch, eine Autotür wird zugeschlagen. Ein Hund kläfft.
    »Einen Moment bitte.« Die Kommissarin schiebt die Kappe auf ihren Füller, steckt ihn in die Manteltasche und springt aus dem Kleinbus. Diana versucht unauffällig zu entziffern, was sie bislang notiert hat, gibt aber schnell wieder auf. Die Schrift ist eckig und krakelig, absolut unleserlich. Der Polizeibeamte macht Habichtaugen.
    »Warum lassen Sie Ihren Hund im Sonnenhof?«
    »Ich kenne den Schreiner, ich liefere ihm manchmal ein paar Stämme Buchenholz. Laura, ein junges Mädchen, das ihm in der Werkstatt hilft, passt gern auf Ronja auf.«
    »Holz, mhm, mhm.«
    Aus dem Mund des grauhaarigen Beamten klingt das wie etwas Obszönes. Diana Westermann verschränkt die Arme vor der Brust und starrt konzentriert auf das Teakholz-Imitat.
     
    ***
    Hinter dem Polizeibus stehen Manni und die beiden Ks von der Spurensicherung. Sie treten von einem Fuß auf den anderen und sehen unternehmungslustig aus, wie Grundschüler vor einer Klassenfahrt. Manni wirkt mehr denn je wie ein Riesenfohlen. Judith kommt sich auf einmal uralt und ausgelaugt vor. Karin und Klaus, die beiden Ks, sind auch noch ziemlich jung, harmonieren aber so perfekt wie eine alte Streifenwagen-Besatzung, die jahrzehntelang Dienstwagen und Stadtteil geteilt hat, ohne das je in Frage zu stellen. Es gibt nur noch wenige solcher Teams, denn eine sich täglich wiederholende Tätigkeit passt nicht in eine Gesellschaft, die ständig den Kick sucht und darüber völlig verlernt hat, sich mit etwas zu bescheiden. Außerdem werden die Arbeitsbedingungen für Polizisten durch den ewigen Sparkurs nicht gerade besser. Einige Kollegen geben auf, weil sie die Überstunden satt haben. Andere wollen sich nicht länger von all denen anpöbeln lassen, für die keine Regeln gelten, weil sie nichts mehr zu verlieren haben. Erst letzte Woche hat wieder eine Kollegin von der Streife gekündigt, eine nette Rothaarige, die Judith für ziemlich fähig gehalten hat. Es ändert sich ja doch nichts, hat sie Judith im Fahrstuhl

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