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Der Wald ist schweigen

Der Wald ist schweigen

Titel: Der Wald ist schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Mustermann
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Zellophanhülle seiner Marlboro-Packung.
    »Scheißjob. Ich hoffe, die Kollegen aus Köln beeilen sich.«
    Er nickt ihr zu, zieht sich den Schal wieder vors Gesicht.
    Judith stapft zurück über die Wiese. Ihr rechter Fuß sinkt in eine Pfütze, kaltes Wasser kriecht ihr den Stiefelschaft hoch. Dann ist auf einmal das Gefühl aus dem Traum wieder da. Die Unwirklichkeit. Die Sehnsucht, die sich nie erfüllen wird. Bedrohung in Zeitlupe. Als liefe sie für immer durch flüssiges Glas. Sie rammt die Fäuste in die Manteltaschen und beschleunigt ihre Schritte. Wenn sie Glück hat, kann ihr irgendein Kollege Gummistiefel leihen.
     
    ***
    Die Luft in dem Polizeibus ist unerträglich stickig. Diana Westermann sitzt am Fenster, eingeklemmt zwischen der rosigen Frau mit dem leeren Pilzkörbchen und einem Klapptisch, der mit schauderhaftem Teakholz-Imitat aus PVC beklebt ist. Das Fenster lässt sich nicht öffnen. Sie kann die Beine nicht richtig ausstrecken. Sie friert immer noch, obwohl die Heizung weit aufgedreht ist, kein Wunder, ihre Hosen und Schuhe sind klatschnass. Sie schiebt die Hände unter die Wolldecke, die ihr ein Polizist gegeben hat. Sie will heim, weg von hier. Es riecht nach Schweiß, Kaffee und Salamibroten, lauter Gerüche, die sie nicht mag. Immerhin besser als dieser süßliche Gestank. Sie schluckt. Sie will sich nicht daran erinnern.
    »Sie haben einen Schock, Sie müssen etwas essen und trinken.« Der Mann in der Kniebundhose, der sie auf der Lichtung gefunden und sich inzwischen als Egbert Wiehl vorgestellt hat, verhält sich wie ihr Adjutant. Warum musste er sie auch auf der Lichtung überraschen? Was hatte er dort zu suchen, frühmorgens, in ihrem Revier? Ohne ihn säße ich jetzt nicht hier, denkt Diana. Ich hätte mich gefangen, aufgerappelt, ich hätte einfach weiterlaufen können. Der Adjutant tupft sich die Stirn mit einem hellblauen Stofftaschentuch ab, lässt zwei Stück Würfelzucker in einen dampfenden Becher fallen und schiebt ihn zu Diana hinüber.
    »Nehmen Sie ein Brot«, echot seine Frau zum wiederholten Mal. »Oder wenigstens ein Stück Schokolade.«
    Nur damit sie endlich Ruhe geben, nimmt sie den Becher und trinkt. Der Kaffee schmeckt karamellig süß, aber sie kann fühlen, dass ihr Zittern nachlässt. Sie trinkt in durstigen Schlucken, das Ehepaar lächelt sich an. Sollen sie doch. Auf einmal hat sie sogar Hunger. Sie isst ein Salamibrot und trinkt noch einen Becher Kaffee.
    »Danke. Ich wusste gar nicht, wie hungrig ich bin.«
    Der Mann will den Becher nochmals füllen, aber sie schiebt ihn energisch von sich weg.
    »Zwei Becher sind wirklich genug. Ich trinke sonst nie Kaffee.«
    Sie sitzen wieder stumm und lenken die Blicke aneinander vorbei. Wie in einem Aufzug, denkt Diana. Man guckt sich nicht in die Augen, nie. Vor dem Fenster des Kleinbusses wuchern Weißdornsträucher und Schlehen, die Lichtung ist nicht zu sehen.
    »Das schöne Wetter.« Die Stimme der Frau klingt nörgelig.
    Ich will hier weg, denkt Diana Westermann. Es war ein guter Morgen, bis ich mich entschieden habe, zum Erlengrund zu joggen. Die Wildgänse sind geflogen. Der Wald war so still. Ich hätte nicht auf den Hochsitz steigen sollen. Nicht wieder, nicht heute. Ich hätte einfach weiterjoggen sollen. Warum mussten mich diese Pilzsammler finden?
    »Das schöne Wetter.« Dies ist offenbar ein uraltes Klageritual, das keiner Verben und keiner näheren Erklärung bedarf.
    Die Frau nervt. Die ganze Situation ist durch und durch unerfreulich und da tut es überhaupt nichts zur Sache, dass das Wetter wirklich schön ist. Herbst eben. Ein Bilderbuchtag. Das Laub so bunt, dass man ganz vergessen kann, dass dies ein millionenfaches Sterben ist, ausgelöst durch den temperaturbedingten Mangel an Chlorophyll. Der Himmel so durchsichtig, dass er etwas zu versprechen scheint. Natürlich weiß man es besser, aber man kann sich doch nicht entziehen. Läuft über die Wiesen, läuft durch die rotgelbe Farbenpracht, starrt in das hohe Blau und erwischt sich unwillkürlich dabei, dass man singen will. Und vielleicht ist das ja der eigentliche Grund, dass ich nach Deutschland zurückgekommen bin, überlegt Diana. Dass ich endlich wieder einen Herbst erleben wollte. Jahreszeiten. Und jetzt sitze ich hier auch in der Scheiße und muss einen Weg finden, wie ich wieder rauskomme.
    Die Minuten schleppen sich dahin, quälend langsam. Die Luft wird immer stickiger. Es ist nicht fair, denkt Diana. Die Leute haben keinen Respekt vor

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