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Der Wald: Roman

Der Wald: Roman

Titel: Der Wald: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon
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Arm.«

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    Etties Hand- und Fußgelenke waren durch das Zerren an den Seilen aufgeschürft, aber die Fesseln saßen noch genauso stramm wie zuvor. Durch ihr Blut waren sie schlüpfrig geworden, doch sie konnte sich nicht befreien.
    Ihre einzige Chance bestand darin, sich loszuschneiden. Sonst müsste sie warten, bis Merle sie befreite. Aber vielleicht kam er gar nicht zurück. Wenn die Zeichen sich bewahrheiten sollten … Möglicherweise war es schon zu spät, um ihn zu retten. Oder sich selbst. Vielleicht würde es so enden: Merle ereilte sein Schicksal durch die Hände der Camper, und sie verhungerte hilflos in der Höhle.
    »Nein«, sagte sie in der Dunkelheit.
    Sie würde sich befreien. Sie musste es schaffen!
    Ettie hatte sich bereits auf die Seite gedreht und feststellen können, dass ihr Messer verschwunden war. Merle musste es genommen haben. Aber was war mit dem Schweizer Armeemesser, das sie in der Ausrüstung der toten Camper gefunden hatten? Wenn er es vergessen hatte, lag es irgendwo in dem Haufen Zeug am hinteren Ende der Höhle.
    Langsam und ächzend wand sie sich mit steifen Muskeln vorwärts. Der Weg schien kein Ende zu nehmen, aber schließlich lag sie in dem Durcheinander von Schuhen, Plastiktüten, Rucksäcken und Kochgeschirr. Sie spürte Kleider an der Wange, schob sie zur Seite und fühlte kaltes Metall. Die Gaskartusche? Sie überlegte, ob sie die Fesseln durchbrennen könnte, verwarf den Gedanken aber sogleich wieder; mit ihrer eingeschränkten Beweglichkeit war das viel zu gefährlich. Vielleicht als letzter Ausweg.
    Sie wusste, dass die Rucksäcke leer waren. Merle hatte sie an dem Tag ausgekippt, als er sie hereingebracht hatte. Das Messer musste also irgendwo lose herumliegen.
    Sie suchte weiter, schob mit dem Gesicht undefinierbare Gegenstände umher, erkundete einige davon mit der Zunge. Sie biss in weichen Stoff und zog ihn mit einem Knopf zwischen den Zähnen zur Seite. Dann senkte sie den Kopf und spürte ein Metallrohr an ihren Lippen. Sie fuhr mit der Zunge über die gerillte Oberfläche. An einem Ende verbreiterte sich das Rohr. Eine Taschenlampe? Sie drehte es und spürte den Schalter an der Wange. Eine Taschenlampe.
    Sie hatten sie erst ein Mal benutzt, probehalber, als Merle sie vor zwei Tagen aus dem Rucksack geschüttet hatte. Der Strahl war dunkelgelb gewesen, die Batterien schwach, und sie hatte Merle gesagt, sie sollten sie für den Notfall aufbewahren. Danach hatte sie nicht mehr daran gedacht.
    Ettie schob mit dem Kinn den Schalter nach vorn. Der trübe Strahl beleuchtete eine zerknitterte Jeans. Sie packte die Lampe mit den Zähnen und kämpfte sich auf die Knie. Langsam drehte sie den Kopf und ließ den Lichtkegel über die Rucksäcke, ein Sweatshirt, Turnschuhe, einen faltbaren Wasserkanister, in Plastikfolie verpacktes Essen, einen Benzinkocher, eine Brieftasche und ein Erste-Hilfe-Set gleiten. Ihr Mund, den sie weit öffnen musste, um die Taschenlampe zu halten, schmerzte. Sie konnte nur durch die Nase atmen. Sie hatte das Gefühl zu ersticken. Sie würgte, und ihre Augen tränten, aber sie ließ die Lampe nicht los.
    Der rote Plastikgriff des Messers war nirgendwo zu sehen.
    Zentimeterweise kroch sie vorwärts in den Haufen. Ihr linkes Knie stieß gegen einen harten Gegenstand, der unter einem Flanellhemd versteckt lag. Sie schob das Hemd zur Seite und legte das Kinn auf die Brust, um zu ihren Knien leuchten zu können. Der trübe Lichtstrahl fiel auf ein Beil.
    Eine Welle der Erleichterung durchfuhr Ettie. Sie zwang den Mund noch weiter auf und ließ die Taschenlampe fallen. Mit einem dumpfen Geräusch schlug sie auf den Granit. Es wurde dunkel in der Höhle.
    Ettie wand und drehte sich, bis ihre Finger das Beil ertasteten. Sie packte das stumpfe Ende des Kopfes, drückte die Schneide zwischen ihre Handgelenke und begann, das Seil durchzusägen.

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    Nick schob einen abgesägten Baumstamm und einen Stein, der als Hocker am Lagerfeuer gedient hatte, aus dem Weg. Dann breitete er seine Bodenplane aus. Er öffnete die Schnallen, die seine Isomatte zu einer engen Rolle zusammenhielten.
    »Schlafen wir draußen?«, fragte Julie.
    Er blickte über die Schulter. Sie kam zwischen zwei Zelten hervor, eine Zahnbürste und eine Tube Zahnpasta in den Händen und eine Wasserflasche unter den Arm geklemmt. »Hast du Lust?«, fragte er.
    »Was ist mit dem Regen?«
    Er streckte die offenen Hände aus. »Welcher Regen?«
    Julie lächelte. Ihr sonnengebräuntes

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