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Der Wald: Roman

Der Wald: Roman

Titel: Der Wald: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon
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der Stelle, wo meine Schnur ins Wasser ging. Der Strahl drang nur ein Stück unter die Oberfläche. Ich erinnere mich, wie schmutzig das Wasser aussah. Als wäre es voller Matsch oder so. Dann, als ich weiter an der Rolle drehte, tauchte diese bleiche Hand auf, als wollte jemand nach dem Licht greifen. Ich sag’s euch, ich wäre um ein Haar abgekratzt. Aber ich kurbelte weiter, und Cliff hielt die Taschenlampe, und eine Sekunde später baumelte ein abgetrennter Arm von der Spitze meiner Rute. Er war am Ellbogen abgeschnitten. Mein Haken hatte sich ins Handgelenk gebohrt. Wir alle starrten das Ding an. Es hing da, tropfte und schwang hin und her.«
    »Mein Gott«, murmelte Julie.
    Alice sagte: »Ich dachte, du wolltest es entschärfen.«
    »Ich erzähle es, wie es passiert ist«, meinte Flash.
    »Das ist nicht wirklich geschehen.«
    »Ach nein? Frag Cliff, wenn er das nächste Mal vorbeikommt.«
    »Wie kommt es, dass du das nie erwähnt hast?«
    »Ich weiß ja, wie empfindlich du bei solchen Sachen bist.«
    »Warum fängst du dann jetzt damit an?«
    »Die Kinder wollten eine Geschichte hören.«
    »Mein Gott.«
    »Soll ich weitererzählen?«
    »Es geht noch weiter?«
    »Das Beste kommt noch.«
    »Ah, es ist zum Haareraufen.«
    »Mach weiter«, sagte Nick. Er saß vorgebeugt da und hatte die Ellbogen auf die Knie gestützt. »Was habt ihr mit dem Ding gemacht?«
    »Ich wollte die Schnur durchschneiden, aber mein Vater meinte, wir müssten es den Behörden übergeben. Er sagte, ich solle es zu ihm herüberschwingen. Er saß im Heck. Ich gehorchte, und er packte die Schnur, ließ den Arm ins Boot sinken und schnitt die Schnur durch. Dann ruderte Cliff uns zurück zum Lager.
    Als wir dort ankamen, hatte der Schreck schon wieder nachgelassen. Wir waren alle ziemlich aufgeregt, als hätten wir einen Rekordhecht oder so herausgezogen. Wir dachten, es wäre der Arm eines Häcksler-Opfers. Dad steckte ihn in eine Einkaufstüte. Er wollte ihn sofort zur Polizei bringen. Aber der nächste Ort war ungefähr eine Autostunde entfernt, und wir hatten eine Menge wertvoller Campingausrüstung, die wir nicht zurücklassen wollten. Cliff erklärte sich bereit, dazubleiben und auf die Sachen aufzupassen, aber Dad war dagegen. Schließlich beschlossen wir, unser Lager abzubrechen und alles mitzunehmen. Wir gingen davon aus, dass wir sowieso nicht mehr so scharf darauf sein würden, einen weiteren Tag dort zu verbringen.
    Wir hielten uns nicht damit auf, ein Feuer zu machen. Ich zündete die Petroleumlampe an, und wir stellten sie neben das Zelt, während wir unsere Sachen einpackten. Obwohl wir uns wirklich beeilten, schien es eine Ewigkeit zu dauern. Das Auto war hundert Meter entfernt geparkt. Dad ließ Cliff und mich ein paarmal allein, als er Sachen hinüberbrachte. Wir fühlten uns ziemlich unwohl, wenn er weg war. Ständig blickten wir über die Schulter zu der Tüte mit dem Arm.
    Jedenfalls trug er gerade die Kühltasche und den Angelkasten zum Wagen, und wir falteten das Zelt zusammen, als wir dieses Plätschern hinter uns hörten. Als würde jemand langsam aus dem Wasser waten. Wir sprangen auf und wirbelten herum. Und, großer Gott, da kam ein Mann auf uns zu!«
    Heather schlug die Hände vor die Augen.
    »Er taumelte, als wäre er betrunken. Zuerst war es nur eine verschwommene Gestalt in der Dunkelheit. Aber als er näher zur Laterne kam, konnten wir ihn gut erkennen – zu gut. Es war ein knochiger Mann um die vierzig. Er trug Jeans und ein kariertes Hemd. Seine Turnschuhe quietschten bei jedem Schritt. Überall tropfte Wasser von ihm. Sein Schädel war gespalten wie eine aufgebrochene Wassermelone, und ihm fehlte der linke Arm.
    Genau neben der Laterne blieb er stehen und starrte uns mit diesen leeren Augen an. Dann öffnete er den Mund. Er wollte etwas sagen, und ungefähr ein halber Eimer Wasser sprudelte aus seinem Mund, als würde er sich erbrechen. Nachdem kein Wasser mehr kam, sagte er mit erstickter, gurgelnder Stimme: ›Mein Arm. Ich will meinen Arm.‹
    Cliff und ich rannten wie der Teufel. Wir hatten solche Angst, dass wir nicht mal schreien konnten. Als wir mit Dad zurück zum Lager kamen, war der Mann verschwunden.« Flash seufzte. Er schnippte die Asche von seiner Zigarre. »Wir folgten den Fußspuren zum Ufer des Sees. Lange blickten wir auf das Wasser hinaus. Wir konnten den Mann nicht sehen, aber wir wussten, er war dort. Irgendwo da unten. In dem dunklen, schlammigen Wasser. Mit seinem

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