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Der Wald: Roman

Der Wald: Roman

Titel: Der Wald: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon
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gewandert – und hier / Eine Last hertrug, fürchterlich mir! / Diese Nacht aller Jahrnächte mir, / Welcher Dämon verführte mich hier?‹« Seine Brille spiegelte die Flammen wider und verbarg seine Augen. »›Gut kenn ich den See jetzt von Auber – / Diese nebligen Gründe von Weir – / Gut kenn ich den Dunstsumpf von Auber – / Dieses spukhafte Waldland von Weir.‹« Er lehnte sich lächelnd zurück.
    Heather, die gebannt zugehört hatte, begann zu klatschen. Die anderen schlossen sich an. »Fantastisch«, sagte Karen. Flash klemmte seine Tasse zwischen die Knie und applaudierte ebenfalls.
    »Hast du das für die Schule gelernt?«, fragte Karen.
    »Nein, nur für mich selbst.«
    Sie schüttelte verwundert den Kopf, und Benny schwoll vor Stolz die Brust.
    »Das war wirklich ein gruseliges Gedicht«, sagte Nick.
    Julie drehte sich zu Nick, machte einen Buckel und verzog das Gesicht. Mit tiefer, ächzender Stimme sagte sie: »Dieses spukhafte Waldland von Weir.«
    Nick tat so, als fürchtete er sich. »Uuuaah!«, rief er und bedeckte sein Gesicht mit den Händen.
    »Warum«, fragte Alice, »müssen wir uns eigentlich ständig Angst einjagen? Warum sagt nicht mal jemand ein nettes Gedicht auf?«
    Flash grinste. »Dildo ist der Apparat, der der Frau den Mann erspart …«
    »Untersteh dich!«
    »Fies«, sagte Rose.
    Flash warf seiner Tochter einen überraschten Blick zu.
    »Ich könnte doch mit einer Geschichte anfangen«, schlug Alice vor, »und dann setzt sie der Nächste fort. Immer im Kreis um das Feuer.«
    »Gähn«, sagte Rose.
    Nick nickte. »Das ist langweilig, Mum.«
    »Warum probieren wir es nicht mal?«, sagte Karen. »Könnte doch Spaß machen.«
    Scott nickte. »Klar. Leg los, Alice.«
    Alice schien für ihre Unterstützung dankbar zu sein. »Okay«, sagte sie. »Es war einmal eine holde Maid, die allein in den Wäldern lebte, ganz allein bis auf …« Sie verstummte und sah Rose an.
    »Mick Jagger«, sagte Rose.
    Alle außer Alice lachten. »Nein, mach ernsthaft weiter.«
    Rose seufzte. »Na gut. Bis auf ihre gemeine Mutter.«
    Alice verdrehte die Augen, und Flash trank einen Schluck Kaffee, um sein Grinsen zu verbergen.
    »Eines Tages war die Maid so gelangweilt von ihrer Mutter, die ihr immer den Spaß verdarb, dass sie in den Wald rannte und jemanden traf, nämlich …«
    Sie wandte sich zu Heather.
    Hilfesuchend blickte Heather durch das Feuer zu Benny. Mit einem Achselzucken sagte sie dann: »Nämlich einen … o Mann, ich weiß nicht.«
    »Der Mann-ich-weiß-nicht«, fuhr Nick fort, »war ein häss liches haariges Ding mit einem Auge anstelle der Nase …«
    »… und zwei Nasen«, griff Julie den Faden auf, »wo eigentlich die Augen sein sollten. Die Nasen hingen verkehrt herum, deshalb trug er einen großen Cowboyhut, um bei Regen nicht zu ertrinken. Immer wenn er nieste, flog der Hut weg.« Sie drehte sich zu Benny, der sie ansah, als wäre sie verrückt geworden.
    »Als die Maid dem Mann-ich-weiß-nicht begegnete«, sagte er, »kroch er gerade herum und suchte seine Kontaktlinse. Sie half ihm und fand schließlich die Linse.« Schulterzuckend sah er zu Karen.
    »Mit der Kontaktlinse wieder im Auge starrte der Mann- ich-weiß-nicht die Maid an. Sie war das schönste Wesen, das er jemals gesehen hatte. ›Mensch, bist du hübsch‹, sagte er.« Sie grinste Scott an.
    »Die Maid errötete«, fuhr dieser fort. »›Du bist auch nicht gerade hässlich‹, sagte sie. ›Und mit diesen beiden Nasen kannst du bestimmt viel besser riechen als ich.‹« Er sah Flash an und zog die Brauen hoch.
    »Also nahm der Mann-ich-weiß-nicht die Maid auf die Arme und trug sie tief in den dunklen Wald. Sie kamen zu seiner Hütte und trieben es wild.«
    »Dad«, stöhnte Rose.
    »Ehe sie sich’s versahen«, erzählte er weiter, »wimmelte es in der kleinen Hütte von kleinen Mann-ich-weiß-nichts, deshalb packten sie ihre Siebensachen, zogen in eine Eigentumswohnung in Palm Springs und lebten dort glücklich bis ans Ende ihrer Tage.«
    »Was für eine blöde Geschichte«, meckerte Rose.
    »Ich fand sie irgendwie süß«, sagte Karen.
    »Warum erzählst du nicht eine Geschichte?«, fragte Benny sie. »Kennst du noch so eine gruselige wie ›Doreen und Audrey‹?«
    »Leider nicht. Mein Repertoire ist erschöpft.«
    »Was ist mit dir, Dad?«
    »Meine letzte ist nicht so besonders gut angekommen.«
    Julie rümpfte die Nase. »Ja, stimmt. Vergiss es.«
    »Ich weiß eine«, sagte Flash.
    Alice zog eine Braue hoch.

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