Der Wald: Roman
»Ist sie auch jugendfrei?«
»Klar.«
»Los«, sagte Nick. »Lass hören.«
Flash trank seinen Kaffee aus und stellte die Aluminiumtasse zwischen seinen Wanderschuhen auf den Boden. »Vielleicht sollte ich es lieber lassen«, sagte er. »Eure Mutter hat was gegen gruselige Geschichten.«
»Jetzt schieb die Verantwortung nicht auf mich ab«, beschwerte sich Alice. »Wenn du meinst, dass die Geschichte angemessen ist, dann leg los und erzähl sie.«
Flash grinste. »Also, wenn du darauf bestehst.« Er griff unter seine Jacke, zog eine Zigarre aus der Hemdtasche, riss das Zellophan ab, zerknüllte es zu einer Kugel und warf es ins Feuer. »Es ist vor langer Zeit passiert, damals, als ich noch auf der Highschool war.«
»Die finsteren Zeiten«, sagte Nick.
»Genau.« Flash klemmte sich die Zigarre zwischen die Zähne und zog einen Zweig aus dem Feuer. Indem er die kleine Flamme mit einer Hand vor dem Wind schützte, zündete er die Zigarre an. »Mein Vater, mein Bruder Cliff und ich waren auf einem Angelausflug in der Nähe von Land O’Lakes in Wisconsin. Wir hatten von einer Serie von Axtmorden in der Region gehört. Anscheinend rannte irgendein Verrückter herum und fiel über Leute her, die er in den Wäldern fand. Man nannte ihn den ›Häcksler‹. Vielleicht war er ein frustrierter Baumpfleger.« Flash grinste über seinen Witz und blickte auf die glühende Spitze der Zigarre. »Man hat vier oder fünf Leichen in den Wäldern gefunden. Sie waren alle verstümmelt. Bei manchen waren die Arme abgeschnitten. Einigen fehlte ein Bein. Zwei waren enthauptet worden.«
»Arnold«, sagte Alice mahnend.
»Du hast gesagt, ich könnte die Story erzählen.«
»Ich habe gedacht, du würdest etwas Zurückhaltung üben.«
»Soll ich aufhören?«
»Erzähl weiter«, sagte Nick. »Es fängt klasse an.«
Alice seufzte. »Aber entschärfe es ein wenig, ja? Es sind Kinder dabei.«
»Entschärfen, okay. Wo war ich stehengeblieben?« Er zog an der Zigarre und ließ den Rauch aus seinen Nasenlöchern quellen. Der Wind trug ihn davon. »Ah, ja. Der Häcksler lief also frei herum, und man hatte einen Teil seines Werks in den Wäldern gefunden, aber es wurden noch mehr Leute vermisst, deshalb vermutete man, dass es weitere Opfer gab. Da wir in der Gegend zelteten, waren wir ein bisschen nervös. Aber Dad hatte seinen .22er Revolver eingepackt, also dachten wir, wir würden den Dreckskerl umlegen, wenn er auftauchen sollte.
Ich kann euch sagen, wir haben in der ersten Nacht trotzdem kaum ein Auge zugemacht. Wir waren die einzigen Camper an dem See. Es war sehr dunkel und still. Hin und wieder hörten wir ein Rascheln in den Büschen. Cliff und ich waren sicher, dass es der Häcksler war, der sich anschlich. Glaubt mir, das war eine der längsten Nächte meines Lebens. Zumindest vor dem Krieg.« Er spürte, wie sich seine Kehle zusammenschnürte, als er sich selbst im Dschungel kauern sah.
»Hat er euch erwischt?«, fragte Scott.
»Was? Nein. Nein, wir haben die Nacht unbeschadet überstanden.« Flash atmete tief durch. »Den nächsten Tag verbrachten wir auf dem See. Wir ruderten herum und fischten. Es war heiß und sonnig. Wirklich schön. Überall Libellen und gackernde Seetaucher. Richtig nett. Und wir hatten Glück beim Angeln. Haben jede Menge Barsche und auch ein paar Welse rausgezogen. Wir haben sie gebraten, und das Abendessen wurde ein richtiges Festmahl. Dann fuhren wir nochmal mit dem Ruderboot zum Nachtangeln raus.
Ich glaube, wir waren alle froh, dass wir im Dunkeln auf dem See waren. Da draußen mussten wir uns um den Häcksler keine Sorgen machen. Mein Gott, es war herrlich. Warm, nur eine leichte Brise. Das Mondlicht glänzte silbern auf dem Wasser. Leuchtkäfer schwirrten durch die Luft. Wir hatten uns alle mit einem stinkenden Mittel gegen die Moskitos eingeschmiert.« Er seufzte. »Jedenfalls trieben wir gerade am nördlichen Ende des Sees vielleicht fünfzig Meter vor dem Ufer lang, als ich plötzlich einen Ruck an meiner Schnur spürte. Mann, war ich aufgeregt! Ich fing an, einzuholen, und dachte, ich hätte ein Riesending am Haken. Es fühlte sich schwer an, versteht ihr? Meine Rute war fast bis zum Bersten durchgebogen. Aber ich wunderte mich, weil ich da unten keine Bewegung spürte. Wisst ihr, wie sich das anfühlt, wenn der Fisch an der Leine zappelt? Also, dieser schien sich überhaupt nicht zu rühren. Einfach nur ein Gewicht an der Schnur.
Cliff leuchtete mit der Taschenlampe auf den See, an
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