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Der Wald wirft schwarze Schatten

Der Wald wirft schwarze Schatten

Titel: Der Wald wirft schwarze Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kari F. Braenne
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über seinen Horizont gingen, und lachten über ihre Insiderwitze (über die sogar Elise manchmal schmunzelte), während sie ihn verständnislos ansahen, wenn er versuchte, einen Kommentar einzuschieben. Die Professoren standen ihren Schülern in nichts nach. Alkoholisierte Bohemiens mit langen Haaren, Baskenmütze und eitel um den Hals drapiertem Schal. Endlose Monologe oder säuerliche Kommentare. Außerdem glotzten sie ihren Studentinnen nach. O ja, und wie sie glotzten. Es gab sicher auch einige Mädchen, denen das gefiel. Die sich auf staubigen Diwans in den Dozentenzimmern befummeln ließen und zwischen Papierrollen, Kunststoff-Skeletten und Gipsabdrücken die Beine breit machten.
    Die Partys an der Schule waren berüchtigt. Die reinsten Orgien, wurde gemunkelt. Aber er schaffte es, seine Unruhe im Zaum zu halten, vorläufig. Elise hielt sich ja an ihn, und sie beide blieben für sich. Sie ging nicht auf die Partys. Und sie gehörte nicht zu den Studentinnen, die die erstbeste Gelegenheit nutzten, sich als Aktmodell aufs Podium zu stellen, den sabbernden Blicken der Professoren und den erigierten Kohlestiften der Kommilitonen ausgeliefert. Sie gehörte nicht zu diesem Milieu, sagte sie. Hatte keine männlichen Freunde, kaum Freundinnen. Keine engen, beteuerte sie. Ich habe doch nur dich.
    Sie fuhren morgens zusammen ins Stadtzentrum und auch zusammen wieder nach Hause, wo sie gemeinsam zu Abend aßen. Nur selten gingen sie aus. Aber nie dorthin, wo die anderen Studenten verkehrten, nie ins laute, verqualmte Chateau Neuf oder den Club 7 . Stattdessen machten sie Hand in Hand Abendspaziergänge entlang des Akerselva. Blieben an den Brücken stehen und küssten sich. Sie hatten eine Zukunft.
     
    Er windet sich in seinem Flugsessel. Die Beine sind ihm eingeschlafen. Aber der Kopf ist weit von Schlaf entfernt. Bald muss er aufstehen und pinkeln, muss über den Giganten neben sich steigen, mit dem Risiko, dass der andere wach wird und wieder versucht, ihn in eine Unterhaltung zu verwickeln. Er hätte zu Hause bleiben sollen. Hätte jetzt auf seinem Sofa sitzen können, vor dem Fernseher, mit der Fernbedienung in der Hand und einer ordentlichen Pizza aus dem Take-away-Laden an der Ecke vor sich. Hätte bleiben und nicht mehr daran denken sollen. Sich nicht erschrecken lassen dürfen von dem Gerede der alten Hexe. Hätte davon ausgehen sollen, dass alles gutgeht. Dass keiner zu der Stelle kommt und dort etwas findet. Er hätte zu Hause bleiben sollen, ruhig und gemütlich mit Jack neben sich. Mit einer Hand auf dem hellbraunen Hundekopf. Jack hätte zu ihm aufgesehen mit seinen sanften, aufmerksamen Augen und zwischendurch leise seine Wünsche geäußert. Wuff – ich hab Hunger. Jip – ich muss raus. Jiiep – ich will gestreichelt werden. Jack hätte ihn auf andere Gedanken gebracht. Kraul mir den Nacken, mach schon. Nicht da, sondern da. So, ja. Herrlich. Vielen Dank.
    Elender Köter. Was habe ich nur getan?
     
    Im darauffolgenden Frühling hatte er ihr die Hütte im Wald gezeigt. Auf dem Weg dorthin war er besorgt. Dachte, dass es vielleicht zu primitiv für sie sei, bereute, dass er ihr nicht erzählt hatte, wie schlicht alles war, in einem beinahe kümmerlichen Zustand. Nur eine kleine Kate tief im dichten Wald. Aber er hatte sich ganz umsonst Gedanken gemacht. Es gefiel ihr dort sofort. Sie waren noch nicht ganz aus dem Auto gestiegen, als sie auch schon tief Luft holte und jubelte: Fühl nur diese Luft, so frisch! Und wie gut es hier riecht!
    Später, als sie den Pfad entlanggingen, sagte sie: Was für ein schöner Wald! So ganz eigenartig. Was für ein geheimnisvoller Pfad, wie ein Abenteuer! Wie unglaublich phantastisch grün es hier ist!
    Die Hütte gefiel ihr auch. Und dass sie so heimlich und versteckt lag. Nur für uns! Nur für dich und mich! Er liebte es, dass sie das sagte, denn genau das hatte er auch gedacht. Niemand konnte sie hier stören. Niemand würde anklopfen, niemand sie besuchen. Und kein Blick außer seinem konnte über ihren Körper gleiten. Die schlanken Arme. Das Haar. Den Hals. Die Brüste. Die Augen. Den Mund. Hier konnten sie die einzigen Menschen auf der Welt sein, zwei, die sich endlich gefunden hatten. Sie konnten sogar zusammen schweigen, ohne dass er unruhig wurde. Hier konnte er sich unbesorgt der Stille hingeben, dem Vogelzwitschern und dem Flüstern des Windes. Und genau wie er es sich vorgestellt hatte, schlug sie vor, dass sie gemeinsam die Hütte instand setzen

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