Der Wald wirft schwarze Schatten
Hause ist es eben doch am schönsten. Er wird sich freuen, wenn er sieht, wie sie hier alles bewahrt hat, nickt sie. Dass noch etwas genauso ist, wie es war. Diese Küche, zum Beispiel. Sie blickt sich um. So hübsch und modern mit ihrer Einrichtung von 1955 . Die imitierten Fliesen in Blau und Weiß. Die weiße Spitzengardine, sogar die Tischdecke – alles wie früher. Die Umgebung hingegen hat sich leider ziemlich verändert. Die Nachbarschaft. Gamlebyen. Lodalen. Sie kann sich fast nicht mehr erinnern, wie es damals war. In den letzten Jahren hat sich hier mächtig viel getan, vor allem unten am Berg. Und nicht zum Besten, nein. All die schrecklichen Wohnblocks, die sie da unten hingebaut haben. Im Ekebergveien, in der Alnagata und der Konows Gate. Aber sie hält die Stellung, wie ein einsamer Regent in der kleinen Holzhaussiedlung. Seit Aslaug weggezogen ist aus dem Nachbarhaus, ist von den Alten nur noch sie hier. Nicht, dass es ihr etwas ausmacht, sie hatte ja sowieso keinen Kontakt zu denen.
Evelyn sieht wieder aus dem Fenster. «Jetzt kommt Aslaug bald», murmelt sie. «Macht ihre Inspektionsrunde.» Na ja. Vielleicht doch nicht so bald. Es kann noch nicht später als halb sieben sein. Halb sieben?! Nein, sie kann nicht hier herumsitzen. Sie öffnet den Besenschrank, greift sich den regenbogenfarbenen Staubwedel und wackelt in die Stube. Sie macht die Deckenleuchte an und seufzt. Wieder eine Birne kaputt. Dabei spart sie so fleißig Strom! Aber es hat auch seine gute Seite, nickt sie vor sich hin. Je dunkler es ist, desto weniger sieht man den Staub. Denn es ist wohl schon ein wenig staubig, ja. Wenn man es genau nimmt. Es ist eine gute Weile her, seit sie zuletzt ordentlich saubergemacht hat. Vielleicht ein Jahr. Vielleicht zwei. Aber wer stört sich denn schon an ein paar Staubflusen? Dem einen oder anderen Fleck hier und da? Ihr gelingt es sehr gut, nicht daran zu denken, so wie es ihr auch gelingt, nicht an den Marmeladenklecks zu denken, der ihr vor zwei Wochen auf den Küchenfußboden getropft ist und den sie nicht wegwischen kann, weil sie sich dazu hinknien müsste (was sie natürlich nicht tut, denn dann kommt sie nicht wieder hoch). Mittlerweile ist er ihr in die Stube gefolgt, wo er immer noch auf sie wartet, an überraschenden Stellen, und sich an ihre Pantoffeln klebt, wenn sie hineintritt.
Sie hebt den Staubwedel, beginnt die Anrichte abzustauben und niest ein paarmal laut. Der Wedel wirbelt bestimmt nur den Staub auf. Aber es ist trotzdem ein gutes Gefühl. O ja. Und es sieht doch aus, als würde es ein bisschen helfen, nicht? Sie beugt sich über Pollys Käfig.
«Stimmt’s, mein kleiner Piepmatz?»
Polly nickt, klug, wie sie ist. Wenn weibliche Gäste gekommen wären, hätte man natürlich gründlicher ans Werk gehen müssen. Dann wäre es vielleicht sogar nötig gewesen, feucht durchzuwischen. Aber Männer haben ja kein Auge für so was. Und Wilhelm kümmert das ohnehin nicht. Er war ja als kleiner Junge schon so schmutzig. Sie hat sich wirklich alle Mühe gegeben, damit er immer sauber und ordentlich aussah, aber er hat sich jeden Tag geradezu im Dreck gesuhlt und ist anschließend mit schmutzigen Stiefeln über ihre blankgescheuerten Fußböden gerannt. Oh, da konnte sie aber fuchsig werden! Manchmal war sie so wütend, dass sie … Aber das tut jetzt nichts zur Sache. Jedenfalls hat sie immer darauf geachtet, dass alles schön sauber ist, und hat das ganze Haus einmal pro Woche mit grüner Seife geschrubbt. Zweimal pro Jahr hat sie das Messing poliert und die Fenster gewienert, dass sie nur so strahlten, obwohl sie schon damals nicht sehr oft Besuch bekam. Aber man
machte
das einfach so. Früher machte man sauber, gründlich sauber. Und das bisschen, was sie an Ehre besaß, denn viel war es nicht, das hütete sie sorgsam. Sie wollte auf keinen Fall schlechter dastehen als die anderen.
Das ist schon eine merkwürdige Sache mit der Zeit, denkt sie, während sie mit dem Wedel über die Fensterrahmen fegt. Wie sich mit der Zeit alles ändert. Inzwischen schämt sie sich nicht einmal wegen der feinen Staubschicht, die in den Falten der Samtvorhänge sitzt, oder dafür, wie grau die Fenster geworden sind, von den Abgasen oder den Pollen oder was für ein Dreck das nun ist, der sich außen auf die Scheiben gelegt hat. Von den Innenseiten ganz zu schweigen.
Ein bisschen ärgerlich ist nur, dass sie nicht mehr richtig sehen kann, wer draußen auf der Straße vorbeigeht. Nicht, dass es noch
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