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Der Wald wirft schwarze Schatten

Der Wald wirft schwarze Schatten

Titel: Der Wald wirft schwarze Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kari F. Braenne
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sie zu sich, komm-komm. Sollte sie es wagen? Es ist nicht gefährlich, sagte sein Blick, und sie vertraute ihm. Sah, dass sie ihm vertrauen konnte. Er führte sie hinunter an einen kleinen Weiher. Zu einem schönen Sitzplatz in der Sonne, auf ein paar glatten Steinen. Er pflückte einen kleinen Blumenstrauß, legte ihn in ihre Hände. Veilchen, Maiglöckchen, Buschwindröschen und Siebensterne. Wie schön er war, der kleine Strauß. Und gepflückt von so großen Männerhänden.
     
    Von nun an gibt es keine Zeit mehr, denn sie sind sich unsagbar nah. Er ist der, den sie unter allen Männern gesucht hat. Er ist der, von dem sie immer geträumt hat, aber sie hatte die Hoffnung schon aufgegeben, ihn jemals zu finden. Obwohl sie so verschieden sind, er so dunkel und sie so hell, obwohl sie nicht dieselbe Sprache sprechen, sind sie wie zwei Teile, die einst ein Ganzes waren, aber durch einen unglücklichen Zufall getrennt wurden. Jetzt haben sie sich wiedergefunden und wollen sich nicht mehr verlieren. Nie mehr. Davor hatte sie kein Zuhause, sagt sie. Er ist ihr Zuhause, tief im Wald. Sie singt in ihm, sagt er. Einer singt im Herzen des anderen.
     
    Er hieß Aleksej Dimitrov und war ein Bauernsohn aus der Ukraine, bevor er Soldat wurde und während der Schlacht bei Charkow in Gefangenschaft geriet. Auf der letzten Etappe des Gefangenentransports war er zusammen mit vier anderen geflohen. Aber im Gegensatz zu ihnen, die bereits einige Zeit in einem Lager in Deutschland verbracht hatten und wesentlich abgemagerter waren als er, war er noch einigermaßen bei Kräften, da er direkt nach der Schlacht nach Norwegen transportiert worden war. Und man hatte ihm seine Uniform und seine Stiefel noch nicht abgenommen. Auf ihrer Flucht durch den Wald waren die anderen bald im tiefen Schnee zusammengebrochen und von den Hunden eingeholt worden. Aber er hatte sich durch das Schneetreiben gekämpft, hatte es geschafft, den Fluss zu durchqueren, und sich weiter durchgeschlagen. Er wusste nicht, wo er war, aber er lief einfach weiter, bis er keine Anzeichen von Menschen mehr entdecken konnte, und kam schließlich zu einer eingeschneiten Hütte.
    Die war früher vielleicht von einem der Waldfinnen gebaut worden, die vor langer Zeit in dieser Gegend gelebt hatten. Später hatte sie vermutlich jemand als Jagdhütte genutzt, denn sie besaß eine einfache, gemauerte Feuerstelle. Aber obwohl offenbar viele Jahre lang niemand mehr hier gewesen war, lagen noch ein paar alte Tierfelle dort drinnen, ein Feuerzeug und ein paar rostige Fallen. Es war ihm gelungen, ein Feuer zu machen und sich aufzuwärmen. Und als das getan war, sah er, dass man hier leben konnte.
    Er hatte große Hände und warme, geschickte Finger. Er dichtete das Dach mit Birkenrinde ab, stopfte Moos in die Ritzen der Wand, zimmerte ein paar einfache Möbel, ohne nennenswertes Werkzeug. Er wusste, wie er sich zunutze machen konnte, was die Natur bereithielt. Lebte von dem, was er sammelte und fing. Fische im Weiher, Vögel und Kleinwild in den Fallen. Er hätte dort draußen überlebt, wenn sie nicht gewesen wäre. Aber dieser Teil gehört nicht zum Traum, das passiert noch nicht. Jetzt will sie nur hier sein.
    Sooft sie es wagt, unternimmt sie die Wanderung in den Wald. Sie hat Lebensmittel dabei, Decken, Kleidung, Nägel, Hammer und Messer. Spaten und Säge. Eine Axt. Sie wird eine geübte Diebin, sie stiehlt wie ein Rabe. Sie bringt ihm Kleidung. Müht sich ab, eine Jacke für ihn zu stricken, und später wird ihre Mutter sich wundern, wo die geblieben ist. Sie ist seine gute Fee, genau wie er ihr guter Geist ist. Niemand hat sie so geliebt wie er. Sie hat noch nie so geliebt wie jetzt. Er ist so warm. Seine Augen sind so warm. Seine Hände auf ihrem Rücken, seine Hände auf ihren Hüften. Sie sind drinnen stiller als draußen. Still, wenn sie sich in dem schmalen Bett lieben. Als könnte jemand sie hier hören. Niemand konnte sie hören, und niemand hätte ihn je gefunden. Sie hätten so weitermachen können, für den Rest des Krieges. Für den Rest ihres Lebens. Wenigstens hätten sie weggehen können, hätten über den nächsten Bergrücken wandern können und wären in Schweden gewesen. Aleksej ahnte nicht, wie nahe er einer wirklichen Rettung war, als er Zuflucht in der alten Hütte suchte. Und sie erzählte es ihm nicht. Verlor kein Wort darüber, wie nahe die Grenze war. Denn sie waren ja hier, zusammen. Das hier gehörte ihnen, und es ging ihnen gut. Außerdem gab es

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