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Der Wald wirft schwarze Schatten

Der Wald wirft schwarze Schatten

Titel: Der Wald wirft schwarze Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kari F. Braenne
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und zu Vater. Ich hasse ihn, er hat mich vergewaltigt. Das war eine Vergewaltigung da im Wald. Ich hasse das Kind, sagte sie. Sie hasste es wirklich. Sie krallt die knochigen Finger in die Bettdecke, drückt zu, wie um sich festzuhalten. Vater hat kein Wort von dem geglaubt, was sie sagte. Du verlauste kleine Stalinhure, du dreckiges kleines Flittchen. Du hast uns besudelt. Scher dich aus meinem Haus. Verschwinde! Du hättest alles haben können. Salon, Kronleuchter und unzählige Hektar Wald und Ackerland und Wiesen. Ein Königreich. Du hättest einen Prachtburschen haben können, den Kommandanten oder einen deutschen Offizier mit Goldlitze am Kragen. Aber du hast dich für das da entschieden, für ein Balg von einem zerlumpten Russensatan, einem Verbrecher, einem Untermenschen, einem Bastard! Raus mit dir! Dich will hier niemand mehr sehen. Dich will jetzt niemand mehr.
     
    Sie blinzelt, blickt wieder hinunter auf ihre Hände. Faltig, mager. Haut und Knochen. Beinahe grau, bald Asche. Sie ist so jämmerlich klein und zerbrechlich. Wie ein vergilbtes Stück Papier vor dem Zerfall. Nur ein paar kurze knappe Zeilen, einzelne hingekritzelte Striche. Unleserlich jetzt, als hätte es in Wasser gelegen, in Tränen. Tinte, die ausgeblutet ist und getrocknet zu einem unebenen, verschwommenen Fleck. Kein Andenken, kein Foto. Nichts zu erinnern, nichts zu verdrängen. Alles verschwunden, alles weg. Kein Geräusch mehr. Nur noch Vogelgezwitscher, das Murmeln des Baches und der leise flüsternde Wind.

[zur Inhaltsübersicht]
    21
    Sie durchqueren eine offene Heidelandschaft, ehe sie einen mit hohen Fichten bestandenen Abhang erreichen. Unten zwischen den Bäumen leuchtet die Ecke einer blanken Fläche hervor. Der sich spiegelnde Himmel.
    «Guck mal, Papa! Da ist er ja! Da ist der See!»
    «Ja, tatsächlich. Da ist er.»
    «Sind wir jetzt da?»
    «Bald», sagt er zweifelnd.
    Der stille Weiher ist umgeben von dunklen Fichten und vergilbtem Schilf. In der Mitte schwimmt ein einsamer Schwan. Fehl am Platze, denkt Robert. Der Schwan gibt einige heisere Schreie von sich.
    «Warum schreit er so, Papa?»
    «Vielleicht ruft er nach seinen Freunden.»
    «Oder nach seiner Mama und seinem Papa. Du, können wir ihm nicht helfen?»
    «Er will nicht uns.»
    Unter den Fichten finden sie den Pfad wieder. Sie gehen am Weiher entlang, kommen an einem großen Ameisenhaufen vorbei und erreichen eine Lichtung mit Blaubeersträuchern. Robert lässt den Jungen pflücken. Er muss ja Hunger haben. Währenddessen sieht er sich um, hält Ausschau nach Bären im Gebüsch. Hält Wache.
    «Kannst du mir noch die Geschichte erzählen, Papa? Als du klein warst. Als du dich an nichts erinnert hast.»
    «Daran erinnere ich mich nicht.»
    «Ach, bitte!»
    «Nicht jetzt.»
    «Du wusstest nicht mal, wer du warst!»
    «Jetzt nicht, habe ich gesagt.» Robert wedelt eine Mücke weg.
    «Du warst fast wie Mowgli, oder nicht? Erzähl mir doch davon, Papa. Hast du dich verlaufen?»
    Robert seufzt, bereut es, Lukas die Legende seiner Herkunft erzählt zu haben. Er hätte sich denken können, dass der Junge die Geschichte mehr als ein Mal hören will, auch wenn ihm nicht danach ist, sie zu wiederholen.
    «Du hast dich verlaufen und warst ganz allein im Wald. Du warst noch sehr klein, stimmt’s?»
    «Das weiß ich nicht mehr.»
    «Doch, das weißt du noch. Du hast es mir nämlich erzählt.»
    «Ich habe dir nur erzählt, was Opa gesagt hat, Lukas.
Ich
kann mich an nichts von alldem erinnern.»
    «Dein Spitzname war Bobo. Das stand auf einem Schild in deinem Pullover. Aber sie haben niemanden gefunden, dem du gehört hast oder der dich vermisst hat, und deine Kleider waren dreckig, und du warst auch sehr dreckig! Und sehr durstig warst du, und wenn du noch ein bisschen länger im Wald geblieben wärst, wärst du gestorben. Weil du nämlich schon total weit gelaufen warst und ganz erschöpft. Und du hattest einen ganz alten Kackhaufen in der Windel. Erzähl mir doch die Geschichte!»
    «Du kannst sie doch auswendig. Komm, wir gehen weiter.»
    «Aber nicht die über deine Mama und deinen Papa.»
    «Du kennst doch Oma und Opa.»
    «Nein, deine
anderen
Eltern. Wieso sind die verschwunden?»
    Robert stöhnt. «Ich weiß es nicht.»
    «Kann man einfach so verschwinden? Sag doch mal, Papa. Wolf will die Geschichte auch hören.»
    «Sie waren anscheinend Zigeuner. Sie sind weitergezogen.»
    «Fahren Zigeuner einfach ohne ihre Kinder weiter?»
    «
Diese
Zigeuner haben es

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