Der Waldläufer
als sich nach einem langen Marsch die Gebäude der Hacienda del Venado in der Ferne abzeichneten, schon verdunkelt durch die Abenddämmerung. Einige Zeit hindurch folgte der Zug noch einem durch die Wälder sich hinziehenden Weg.
In dem Augenblick, als der Zug den Wald verließ, um in die Ebene einzulenken, in deren Mitte sich die Hacienda erhob, traten zwei Männer aus dem Dickicht heraus, die Büchse in der Hand. Es waren die beiden Jäger, die am Morgen so plötzlich Abschied genommen hatten.
»Du hast dich durch irgendeine Ähnlichkeit verführen lassen«, sagte der ältere der beiden Jäger – das heißt der Kanadier – zu Dormilon.
»Ich bin meiner Sache gewiß, sage ich dir; er ist es! Fünfzehn Jahre haben nichts in seinem Aussehen und seiner Haltung geändert. Der Ton seiner Stimme ist der gleiche geblieben als zu der Zeit, da ich noch der Küstenwächter Pepe der Schläfer war. Aber seit fünfzehn Jahren haben ebensowenig meine Ohren noch meine Augen etwas vergessen. Also, Bois-Rosé, du kannst sicher glauben, was ich dir beteuere.«
»Übrigens«, sagte Bois-Rosé, »hat man vielleicht diesen Namen nicht vergessen; man begegnet öfter dem Feind, dem man entflieht, als dem Freund, den man sucht.« Nach diesen Worten stützte der kanadische Jäger sich mit melancholischer und nachdenklicher Miene auf den langen Lauf seiner Büchse und verfolgte wieder mit dem Auge die Reisenden, die bald hinter den Mauern der Hacienda verschwanden.
Die untergehende Sonne hüllte den Abend in purpurnen Nebel. Die einen Augenblick erleuchteten Hügel versanken in die gleichmäßige Farbe der Dämmerung, und die beiden Jäger, die ihre waldige Wohnung wieder betreten hatten, verschwanden ihrerseits in deren nächtlich dunklem Schatten.
11 Die Hacienda del Venado
Die Hacienda del Venado war – wie alle Wohnungen dieser Art an der indianischen Grenze, die den Einfällen umherschweifender Horden in diesen Steppen ausgesetzt sind – ebensowohl eine Art Festung als ein Landhaus. Aus Backsteinen und Werkstücken erbaut, von einer mit Schießscharten versehenen Terrasse umgeben, durch massive Tore verschlossen, konnte sie eine Belagerung durch Feinde aushalten, die erfahrener in der Kriegskunst waren als die benachbarten Stämme der Apachen.
An einer Ecke erhob sich ein ebenfalls aus Werkstücken erbauter Turm, über drei Stockwerke hoch, der die an die Hacienda stoßende Kapelle überragte. Dieser Turm konnte noch, falls der Hauptteil der Wohnung erobert war, ein fast uneinnehmbarer Zufluchtsort sein.
Endlich umgab noch starkes Pfahlwerk aus Palmenholz das Gebäude ganz und gar ebenso wie die Gesindewohnungen, die für die Leute und die Diener der Hacienda, für die Vaqueros und die gewöhnlichen Gäste bestimmt waren, die auf ihrer Vorbeireise von Zeit zu Zeit kamen und um gastliche Aufnahme baten. Außerhalb dieser bevorzugten Umwallung bildeten etwa dreißig Hütten eine Art kleines Dorf, bewohnt durch die Peones Lohnarbeiter und ihre der Hacienda einverleibten Familien, die in Tagen der Gefahr Schutz und Zuflucht in der Festung suchen konnten und dann zugleich die gewöhnliche Besatzung verstärkten.
Das war die Hacienda, in die wir vor den Reisenden, die wir auf dem Weg gelassen haben, eintreten wollen.
Der Eigentümer, Don Agustin Peña, war ein reicher Mann. Außer einer reichen Goldmine, die er gar nicht weit von hier ausbeutete, besaß er noch zahllose Herden großen und kleinen Viehs, Pferde, Maultiere und Stiere, die frei umherliefen, sprangen und brüllten mitten in den ungeheuren Savannen oder den tiefen Wäldern, die die zwanzig Quadratmeilen Land, die zur Hacienda gehörten, bedeckten. Eine gleich ausgedehnte ländliche Besitzung ist nicht selten in einem Land, wo viele Besitzungen so groß sind wie ein Departement in Frankreich.
Indes sprach man von Guaymas bis an diese Grenzen nur vom Reichtum Don Agustins und von der unermeßlichen Mitgift, die seine Tochter Doña Rosaria, die liebliche Rosarita, demjenigen zubringen würde, den sie zum Gatten wählte. Das junge Mädchen war auch das Ziel gar manchen Ehrgeizes. Übrigens hätte schon seine Schönheit – auch ohne das Vermögen, das es nach dem Tod des Vaters bekommen mußte – vollkommen genügt, um all diese Ansprüche zu rechtfertigen.
In diesen entfernten Provinzen hat sich gewöhnlich der andalusische Typus schwächer ausgeprägt; aber er hatte bei Rosarita nichts von seiner Charakteristik verloren, und durch einen glücklichen Gegensatz
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