Der Waldläufer
seinen Augen. Eine Erscheinung, die er in seiner ersten Lage nur als ein Trugbild zu liebkosen wagte, trat plötzlich in die Wirklichkeit ein. Eine unüberschreitbare Entfernung schien sich auszufüllen, als ob durch Feenhand eine Brücke über einen Abgrund geworfen worden wäre.
Das Gold tut täglich diese Wunder. Hatte er nicht den Besitz einer reichen Goldmine in Aussicht? Er wagte es also, einen gestörten Traum wiederaufzunehmen, sich an das zu erinnern, was er von seiner Vergangenheit wußte, und sich die Zukunft auszumalen. Er begann, wieder vom Anfang an zu träumen. Zwei Jahre versetzte er sich zurück, und die Schranken des Zweifels und der Entmutigung fielen vor ihm wie ein düsterer Vorhang vor dem Zeichen des Maschinisten oder vor dem Stab eines Zauberers. Gerade wie diese Nacht hier, in der er jetzt träumte, öffnete ein weiter Wald vor seinen Augen seine durch die Dämmerung verdunkelten Bogengänge:
Ein Mann, ein junges Mädchen und Diener zu Pferd stellten sich ihm dar, unruhig und verstrickt in ein unentwirrbares Labyrinth von Lianen und Gesträuchen, und begrüßten ihn als ihren Schutzengel, der sie ihrem vorgesteckten Ziel zuführen sollte. Der Mann und die Diener erschienen ihm nur noch undeutlich; aber die bleichen Wangen, die schwarzen Augen, die wie Ebenholz dunklen Haare des jungen Mädchens strahlten noch in all dem wunderbaren Glanz, der damals so großen Eindruck auf ihn gemacht hatte. Wie zwei Jahre vorher beruhigte sie Tiburcio, brachte sie auf den verlorenen Weg und begleitete den Zug zwei Tage, die nur zu schnell verflossen.
Der Wald nahm dann auf dieser kurzen Reise einen neuen Anblick für ihn an; die Pflanzen atmeten einen ganz anderen Duft aus; er dachte an die purpurfarbigen Glockenblümchen, die er pflückte und mit denen das junge Mädchen, das seine Fröhlichkeit wiedergewonnen hatte, sein schwarzes Haar schmückte und die sie ihm mit bezaubernder Nachlässigkeit zurückgab, wenn die Glut ihrer Stirn den Kelch geschlossen hatte. Er dachte an einen Haltepunkt im Wald während einer Nacht der Wonne und der Angst. Alle schliefen – die Männer auf dem Moos, das junge Mädchen auf einem Pantherfell –, er allein wachte. Ein verbrannter Eichenstamm verbreitete nur einen hinsterbenden Glanz. Die Natur war schweigsam, aber nicht stumm. Er atmete inmitten des Schweigens den Duft der Jungfräulichkeit ein, der sanft mit dem durch die Nacht wiederbelebten Wohlgeruch der Moose, Blätter und des Sassafras gen Himmel zu steigen schien. Er hörte das kaum vernehmliche Geräusch des jungfräulichen Atems, das sich mit der Harmonie der Wälder vereinigte – ein ewiges Konzert, das jede Nacht die Erde der wunderbaren Welt singt.
Dann verschwand dies alles vor den Augen Tiburcios; das junge Mädchen kehrte nach Hause zurück. In ebendiesem Haus brachte er eine ganze Woche zu, trunken vor Liebe, aber ohne es zu wagen, seine Wünsche bis zu der, die er liebte, zu erheben. Bei den Festen der ihrer Wohnung nahe liegenden Dörfer hatte er sie hundertmal wiedergesehen, ohne mutiger zu sein, denn er war ja so arm! Aber jetzt ... Tiburcio sah sich mächtig und reich und hoffte; dann fingen seine Augenlider an, schwer zu werden, und er schlief ein mitten in holden, schönen Träumen. – Ist es nötig, zu sagen, daß das junge Mädchen, das seine Erinnerung ihm wieder vorführte, die Tochter Don Agustin Peñas war und das fragliche Haus die Hacienda del Venado? –
Bei Anbruch des Tages wurden alle Schläfer aufgeweckt durch den Ton eines Glöckchens und den Widerhall der Hufe einer Cavalcada. Es war Benito, der die erschreckte Schar der Pferde seinem Versprechen gemäß zurückbrachte. Alle Reisenden waren sogleich auf den Füßen; aber vergeblich suchten sie die beiden Jäger; sie waren nicht mehr da und hatten sich, ohne daß jemand sie gehört hätte, entfernt.
Nachdem die Pferde gesattelt, die Maultiere beladen waren, setzte der Zug seinen Weg nach der Hacienda fort. Der Senator und Don Estévan ritten voran, während Tiburcio, der sich genötigt fand, hinter Cuchillo aufzusitzen, da diesmal kein Sattel für ihn leer war, ihnen mit Baraja folgte; dann kamen endlich die drei Diener. Die beiden Reiter waren also abermals zusammen auf demselben Weg. Der eine dachte daran, wie er die Entdeckung des Val d'Or nur gegen das feierliche Versprechen, Arellanos zu rächen, erkauft hatte; der andere sann auf Mittel, sich Tiburcios bei erster Gelegenheit zu entledigen.
Der Tag wich eben der Nacht,
Weitere Kostenlose Bücher