Der Waldläufer
antiken Fechters sich einen Gegner zum Angriff auszuwählen.
»Du nennst das quitt sein?« rief Cuchillo, noch keuchend unter dem Druck des Knies, das so schwer auf ihm gelastet hatte. »Dein Leben gehört mir; ich habe es dir nur geliehen und werde es dir wieder nehmen!«
»Heran doch, du Hund!« schrie Tiburcio zu ihm, dessen Aufregung durch den Anblick seiner beiden Gegner noch eine Stufe höher gestiegen war. »Kommt auch Ihr heran, Don Estévan! Feiger Mörder! Ihr bezahlt für den Mord an verteidigungslosen Leuten.«
Eine tiefe Blässe verbreitete sich bei dieser blutigen Beschimpfung, bei dieser unerwarteten Anklage über das Gesicht des Spaniers; er zog seinerseits seinen Dolch. »Drauf, Cuchillo, drauf!« schrie er in wütendem Ton. Und er selbst warf sich auf den jungen Mann. Vielleicht wäre Tiburcio dem Angriff seiner beiden Feinde erlegen, wenn nicht plötzlich ein helleres Licht durch das Gitter am Fenster Rosaritas gefallen wäre und den Schauplatz mit rötlichem Schein erleuchtet hätte.
Wir haben gesehen, daß Tiburcio bei dem jungen Mädchen alles ohne Erfolg versucht hatte: Klagen, Vorwürfe, Versprechungen waren nutzlos gewesen. Aber diese unvorhergesehene Entwicklung mußte viel beredter zu seinen Gunsten sprechen. Es gibt romantische Zustände, von denen auch die Frau mit dem ruhigsten Urteil getäuscht wird und sich immer fangen läßt. Eine Fackel in der Hand, hatte sich Doña Rosarita auf den Schauplatz dieser so rasch aufeinander gefolgten Ereignisse gestürzt. Beim Anblick Tiburcios, der furchtlos seine verteidigende Stellung beibehielt, während das Blut von seinem mit dem Messer bewaffneten Arm auf die Erde tropfte, bebte ihr Herz voll Mitgefühl und Bewunderung. Ihr erster Antrieb war, sich in die Arme dieses unerschrockenen und schönen jungen Mannes zu werfen, dessen Leben bedroht war, dessen Blut floß. Aber sie gehörte zu den Frauen, die den Schrei des Herzens unter einer keuschen Zurückhaltung zu ersticken wissen; sollten sie auch darüber sterben! Tiburcio war der einzige, mit dem sie sich nicht zu beschäftigen schien.
»O mein Gott«, rief sie, »Don Estévan, seid Ihr verwundet? Señor Cuchillo, Señor Arechiza – um der Liebe der Heiligen Jungfrau willen, zieht euch zurück! Niemand möge erfahren, daß ein Verbrechen in unserem Haus begangen worden ist!«
Diese Vermittlung des jungen Mädchens, dessen Busen sich unter dem feinen Hemd hob und senkte; das mit aufgelösten Flechten und auf den Nacken zurückgeworfenem Schleier in seiner stolzen und wilden Schönheit ehrfurchtgebietend dastand, war allmächtig. Die Messer kehrten in ihre Scheiden zurück. Cuchillo murrte wie eine Dogge, der man einen Maulkorb angelegt hat, Don Estévan beharrte in düsterem Schweigen; beide entzogen sich dem Lichtkreis, kehrten in den Schatten zurück und verschwanden.
Nur Tiburcio blieb mit trotziger Stirn, funkelndem Auge und einem lebhaft durch den Glanz der Fackel erleuchteten Antlitz allein auf dem Kampfplatz zurück. Allmählich jedoch nahm diese stolze Haltung des Mannes, der sich größer fühlt mitten in der Gefahr, beim Anblick Rosaritas einen melancholischen Ausdruck an.
Auch Rosarita erbleichte unter der Rückwirkung ihrer Gemütsbewegungen und verhüllte züchtig und ganz verwirrt durch das neue Gefühl, das in ihr erwacht war, ihren entblößten Busen und ihre Schultern mit den Falten ihres Rebozos.
»Rosarita«, sagte Tiburcio sanft, »ich hätte vielleicht – so ausdauernd ist die Hoffnung! – an Euren Worten gezweifelt, aber Eure Handlungen haben deutlicher gesprochen. Gerade zu meinen Feinden seid Ihr zuerst geeilt, und doch floß mein Blut! Seht, es fließt immer noch!«
»Gott weiß, ob ich diesen Vorwurf verdient habe!« sagte das junge Mädchen mit einer Gebärde des Schreckens beim Anblick der Blutflecken im Sand; es näherte sich, um sich selbst von der Gefährlichkeit der Wunde zu überzeugen.
Tiburcio wich zurück. »Es ist zu spät!« sagte er mit einem das Herz zerreißenden Lächeln. »Das Unglück ist geschehen! Lebt wohl! Ich bin zu lange Euer Gast gewesen; die Gastlichkeit Eures Daches war unheilbringend für mich. Mein Leben ist hier bedroht, meine teuersten Hoffnungen sind hier vernichtet.«
Mit diesen Worten näherte er sich einer Öffnung in der Ringmauer. Hundert Schritt davon erhoben sich düster und schwarz die ersten Bäume des Waldes; das geheimnisvolle Licht, das Tiburcio schon im Laufe des Abends aufgefallen war, warf schwache Strahlen
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