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Der Waldläufer

Titel: Der Waldläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Ferry
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wieder seine finstere, tiefsinnige Haltung an. Der Schmerz hatte sogleich wieder von seiner Seele Besitz genommen, die der Zorn nur wie ein einziger Blitz einen dunklen Himmel durchzuckt hatte. »Es ist vielleicht der Geist irgendeines armen Liebenden, der vor Verzweiflung gestorben ist und in diesen Bäumen seufzt«, sagte er melancholisch.
    »Jesus, Ihr erschreckt mich!« rief das junge Mädchen und zog unter seinem Schleier den bloßen Arm hervor, um sich hastig zu bekreuzigen. »Glaubt Ihr denn, daß man davon sterben kann?« fragte es naiv.
    Ein trauriges Lächeln spielte auf den Lippen Tiburcios. »Hört, Rosarita, Ihr seid ehrgeizig, sagt Ihr. Wohlan, wenn ich nun alles, was Euch versprochen ist, Euch ebenfalls geben könnte? Hört«, sagte er, »ich habe bis jetzt nur die Sache des armen und verwaisten Tiburcio geführt; ich will jetzt für den Tiburcio Arellanos sprechen, der reich und mächtig zu werden im Begriff steht; ich werde angesehen werden, denn ich will Euch einen berühmten Namen anbieten.«
    Bei diesen Worten hob Tiburcio eine vertrauensvolle Stirn gen Himmel, auf der der Stolz eines alten Geschlechts wieder aufzuleben schien. Zum erstenmal seit dem Anfang dieser Unterredung hatte er aufgehört, unverständig zu sprechen; Rosarita lieh ihm auch aufmerksam ihr Ohr.

17 Mangel an Verständnis
    Die beiden Lauscher hatten nicht ein Wort von der ganzen Unterhaltung und kaum eine Gebärde aus dem Schauspiel verloren, das sich unter ihren Augen zutrug. Bei den letzten Tiburcio entschlüpften Worten und während er sich einen Augenblick sammelte, wechselten Don Estévan und Cuchillo einen raschen Blick. Wut und Verwirrung kämpften auf dem Gesicht des Banditen, der grimmig seine eigene Bestürzung sah und fühlte, wie er von Tiburcio getäuscht war – und das nach der unverschämten Art, mit der er sich gegen Don Estévan gerühmt hatte, er habe ihn ganz ergründet und auch seine geheimsten Gedanken gelesen.
    Was den edlen Spanier betrifft, so hatten sich seine Augen mit einem Ausdruck schonungslosen Spottes auf ihn gerichtet. Vielleicht ließ er auch absichtlich Cuchillo den Stachel dieses Hohns fühlen. »Wirklich«, sagte er kalt, »dieser junge Mann setzt ein mittelmäßiges Pferd weit über das schönste Mädchen dieser Gegend.«
    Der Bandit verbiß schweigend seine Wut.
    »Wir werden nun erfahren«, fügte der Spanier hinzu, »ob er die Stelle, wo das Val d'Or liegt, ebensowenig ahnt als die, wo sich das irdische Paradies befindet.«
    Bei diesen Worten, die den Banditen an seine lügenhaften Behauptungen erinnerten, zuckte dieser zusammen wie der Stier, wenn er fühlt, daß die scharfen Spitzen der Bandilleras in sein Fleisch dringen.
    Unterdessen hielt es Arechiza, der zufrieden war, die bösen Leidenschaften des Banditen geschürt zu haben, für klug, sie bis zu dem Augenblick im Zaum zu halten, wo es im Interesse seiner Politik läge, ihren Ausbruch nicht mehr zu hemmen. Ein unter seinen Augen begangenes Verbrechen, ohne daß sein Mund es befohlen oder nur dazu geraten hätte, mußte sein Gewissen sichern und ließ ihm gegenüber Cuchillo das ganze Ansehen, die ganze Gewalt, die ihm durch eine Mitschuld geraubt worden wäre. Er faßte also kräftig den Arm Cuchillos und sagte zu ihm: »Bei Eurer Seele Seligkeit – erinnert Euch daran, daß das Leben dieses jungen Mannes geheiligt ist!«
    Ein Lächeln von böser Vorbedeutung verfinsterte noch das Gesicht des Banditen, der eben antworten wollte.
    »Still!« sagte Arechiza. »Hören wir!« Und seine Hand blieb auf dem Arm Cuchillos liegen, während seine Blicke sich von ihm abwandten. –
    Dies alles war das Werk einer Minute gewesen; die Stimme Tiburcios ließ sich nach kurzem Schweigen abermals vernehmen. »Wohlan, warum soll ich es Euch noch länger verbergen?« rief Tiburcio, von der aufmerksamen Miene Rosaritas angefeuert. »Ehren, Reichtümer, Macht – alles kann ich zu Euren Füßen legen, und nur Ihr, Ihr allein hättet dieses Wunder getan!«
    So ungläubig die Frauen auch in mancherlei Punkten sind, so gern glauben sie doch wieder an die Wunder, die sie verrichten. Rosarita heftete ihre Augen fragend auf Tiburcio.
    »Ich hätte es Euch vielleicht schon früher mitteilen müssen«, sagte er und schlug die Augen unter einem Vorwurf seines Gewissens nieder, »daß meine Adoptivmutter zu dem gegangen ist, der die Stelle meines Vaters vertreten hat; aber bei meiner Ankunft hier habe ich nur an eine gedacht ...«
    »Ich weiß es«, unterbrach

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