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Der Waldläufer

Titel: Der Waldläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Ferry
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ihn kein verschlossener Brief waren, die Beweise für eine Liebe verraten, die von sich selbst noch nichts wußte.
    Er hatte bis jetzt die Tiburcio gemachte Entdeckung hinsichtlich des Val d'Or als eine Sache von untergeordneter Wichtigkeit mit Verachtung behandelt; aber der von Doña Rosarita geliebte Tiburcio war für seinen Ehrgeiz ein unüberwindliches Hindernis. Die Heirat des Senators; die halbe Million, die dieser von der Mitgift seiner Frau für das Gelingen seiner Pläne opfern sollte; die Vorteile, die ihm Tragaduros' Einfluß im Senat von Arizpe – der durch seine Freigebigkeit noch vergrößert wurde – in Aussicht stellte – alles verschwand vor diesem neuen Hindernis. Man mußte es also durchbrechen, es um jeden Preis aus dem Weg räumen und sich Tiburcios lebend oder tot bemächtigen. Der Ehrgeiz stellt solch schreckliche Forderungen, denen der Ehrsüchtige alles opfern muß.
    Es blieb nur noch die Ausführung dieses Plans übrig. Als der Spanier ihn einmal in seinem Geist beschlossen hatte, brach er zum erstenmal das Stillschweigen. »Ungeschickter Dummkopf!« murmelte er laut genug, daß Cuchillo es hören konnte.
    »Beliebt Eure Herrlichkeit, von mir zu sprechen?« fragte der Bandit in einem Ton, in dem die augenblickliche Demütigung mit seiner gewöhnlichen Unverschämtheit stritt.
    »Und von wem sollte ich wohl sonst sprechen – wenn Ihr nichts dagegen habt – als von dem Mann, der seinen Gegner weder durch List auszuforschen noch sich seiner durch Gewalt zu entledigen versteht? Ein Weib hätte getan, was Ihr nicht habt tun können. Ich hatte es Euch ja gesagt, dieses Kind ist ein Riese gegen Euch, und ohne mich ...«
    »Ich leugne nicht, daß Eure Vermittlung mir von Nutzen gewesen ist«, unterbrach Cuchillo; »aber ohne Eure Dazwischenkunft auf dem Weg nach der Poza wäre auch Tiburcio für uns kein Gegner mehr, den wir zu fürchten hätten.«
    »Wieso?« fragte Don Estévan.
    »Gestern abend, als ich ihn hinter mir auf dem Rücken meines Pferdes nach Eurem Nachtlager hinbrachte, hatte der junge Mann mir gedroht, mich in meiner Ehre beleidigt, und ich wollte eben unseren Streit durch einen guten Büchsenschuß beenden, als ein Abgesandter von Euch – Benito, der Jaguarbewunderer – uns entgegenkam und ein Pferd und Wasser überbrachte; ich mußte auf meinen Plan verzichten. Hier war das Rechte, wie Ihr seht, Don Estévan; die Tugend bringt uns Unglück! Das kommt von unserer Wohltätigkeit.«
    »Sprecht von Euch, Schelm!« sagte der Spanier, dessen Stolz sich bei dem Vergleich empörte, den der Bandit zwischen ihnen aufzustellen suchte. »Und wenn man die Abwesenden angreifen darf – was hat denn dieser junge Mann Eurer Ehre zuleide getan ?«
    »Was? Weiß ich es? Es war wegen meines Pferdes, das ...« Cuchillo hielt inne wie ein Mann, dessen Zunge ein unbesonnenes Wort gesprochen hat.
    »Das mit dem linken Fuß stolpert«, fügte Don Estévan hinzu. »Die alte Geschichte vom Pferd Arellanos'.«
    »Ich habe ihn nicht getötet!« rief der Bandit. »Ich habe ihm vielleicht einiges Unrecht vorzuwerfen gehabt, aber ... ich habe es ihm von Herzen vergeben.«
    »Ihr seid so großmütig! Aber Scherz beiseite; Ihr seht, dieser junge Mann darf uns nicht mehr im Weg stehen. Ich weiß nicht, welch ein Interesse ich an ihm nahm ... gegen meinen Willen. In Wahrheit: Was kümmert es mich, ob er – allein, wie er dasteht – ein Geheimnis mit uns teilt? Heute bin ich anderer Meinung. Ich habe Euch eine halbe Unze gegeben, um ihn vom Tod zu retten; freilich ohne zu wissen, wer er war; jetzt will ich Euch zwanzig geben, auf daß er nicht mehr ist.«
    »Das lass' ich mir gefallen – wir werden wieder Freunde! Seid nicht böse darüber, Don Estévan; morgen aber müßten wir viel Pech haben, wenn bei dieser Jagd auf wilde Pferde das seinige ihn nicht in eine Schlucht stürzte oder ihm nicht den Kopf an einem Felsen oder Baumstamm zerschmetterte oder ihn nicht wenigstens an einen Ort brächte, von dem er nicht wieder zurückkehren wird. Freilich werde ich ein wenig mit Oroche und Baraja teilen müssen; aber ich werde schon dahin sehen, daß es so wenig wie möglich ist.«
    »Morgen!« wiederholte ungeduldig Don Estévan.
    »Und wer sagt Euch, daß das ›Morgen‹ Euch gehört? Ach was! Ist die Nacht nicht lang, sind diese Gärten nicht weit genug? Seid Ihr nicht drei gegen einen? Wer gibt Euch die Gewißheit, daß ich morgen nicht anderer Ansicht geworden bin?«
    Diese Drohung erschreckte Cuchillo.

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