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Der Wandermoerder

Der Wandermoerder

Titel: Der Wandermoerder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Starr
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vertraut zu machen. Sie besuchten Gefängnisinsassen in Saint-Paul und assistierten Ärzten, die ihre Aussage vor Gericht vorbereiteten.
    Der Höhepunkt des Studiums bestand für die Studenten darin, den 80 oder mehr Autopsien beizuwohnen, die Lacassagne und sein Team jedes Jahr vornahmen und die strengen Regeln folgten. Lacassagne oder sein Laborleiter erklärten zunächst, was sie über den Fall bereits wussten: wo und wann die Leiche aufgefunden worden war, ob die Behörden einen gewaltsamen Tod vermuteten und welche Todesursache in Betracht kam. Dann verteilte der Professor feuilles d’observation (Beobachtungsbögen), auf denen vermerkt war, was er zu tun gedachte. Diese Papiere glichen einem Ablaufplan und beschrieben die einzelnen Schritte, die Lacassagne, sein Laborchef und die Studenten absolvieren mussten, um jede denkbare Todesursache zu untersuchen. Zwischendurch wurden Beobachtungen festgehalten. Jede Serie von Beobachtungen führte zur nächsten logischen Serie und so weiter, bis schließlich eine Schlussfolgerung feststand. »Nichts ist unentbehrlicher und nützlicher für die Studenten als die Gewöhnung an gerichtsmedizinische Verfahrensweisen«, pflegte Lacassagne zu sagen.
    Diese präzise Arbeit setzte eine gute Ausrüstung voraus. Daher schuf Lacassagne in seinem Institut eines der modernsten gerichtsmedizinischen Labors der Welt. Im Erdgeschoss befand sich ein Amphitheater für Autopsien mit einem Drehtisch in der Mitte und halbkreisförmigen Galerien, die Platz für 100 Beobachter boten. Ein Aufzug brachte die Leichen aus dem Keller nach oben und die Überreste nach der Sektion nach unten. In einem Labor neben dem Amphitheater standen Mikroskope und Spektroskope zur Verfügung.
    Im ersten Stock befand sich ein großes Kriminalmuseum, in dem Ärzte, Studenten und Juristen Ausstellungsstücke besichtigen und die vielen natürlichen und gewaltsamen Todesarten studieren konnten, um ihre Untersuchungen zu fördern. In einer Vitrine lag beispielsweise alles, was mit Feten und Neugeborenen zu tun hatte: Skelette von Embryos, Knochen mit Brüchen, die typisch für Kindsmord waren, Instrumente, die für illegale Abtreibungen benutzt wurden, und Köpfe von Kindern in verschiedenen Entwicklungsstadien. Riesige Glaszylinder enthielten Leichen totgeborener Kinder in einer klaren Flüssigkeit – wie in einem ewigen Mutterleib. Zwei Glasbehälter waren Schädeln und deren Frakturen vorbehalten, getrennt nach Todesursachen wie Unfall, Selbstmord und Verbrechen (darunter Stürze aus großer Höhe, Hammerschläge und Kugeln). Ein Schrank enthielt Projektile und Patronen aller bekannten Schusswaffen, ein anderer Ampullen mit Giften. Schubfächer waren mit mikroskopischen Präparaten menschlicher und tierischer Haare gefüllt, ebenso mit Textilien, die Blut-, Sperma- und Eiterflecken aufwiesen. Es gab auch eine Sammlung verschiedener Stricke, die beim Erhängen benutzt wurden, sowie Tausende von Tätowierungen, die Lacassagne gesammelt hatte.
    Mehrere große Behälter aus Holz und Glas stellten Skelette von Verbrechern zur Schau, die mit dem Fallbeil hingerichtet worden waren. Die Knochen wurden mit Drähten zusammengehalten, sodass die Gerippe standen. Ein anderer Behälter enthielt 24 Gipsabdrücke von Verbrechergehirnen und rekonstruierte Modelle von Köpfen. Es gab Hunderte von Fotos, die Gesichter von Kriminellen zeigten und die nach der Art der Verbrechen geordnet waren.
    Die größte und wichtigste Sammlung enthielt Körperteile, die verschiedenen Verbrechen zugeordnet waren, manche in Alkohol konserviert oder getrocknet, andere als Gipsreproduktionen, Fotos oder anatomische Skizzen. »Hier findet man Wunden, die mit scharfen und stumpfen Gegenständen zugefügt wurden, Wunden der Haut, des Herzens, der Lungen, des Kopfes, der Leber, der Nieren«, heißt es in einem Artikel in den Archives de l’anthropologie criminelle . Die nützlichste Abteilung zeigte Waffen neben den verletzten Organen. Der Begriff »Waffen« war dabei ziemlich weit gefasst: Revolver, Pistolen, Taschenmesser, Schwerter, Hämmer, Schaufeln, Beile und andere improvisierte Werkzeuge der Zerstörung. Da Ursache und Wirkung hier visuell verdeutlicht waren, konnten Ärzte von einer Leiche auf die Waffe schließen, die den Schaden verursacht haben konnte. 4
    Neben dem Museum befand sich eine Bibliothek mit Büchern, Zeitschriften und Hunderten von Doktorarbeiten. Im Flur hingen mehr als 300 Karten, welche die kriminelle Geografie

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