Der Weg der Könige - Sanderson, B: Weg der Könige - The Way of Kings - The Stormlight Archive, Book 1
nicht Jasnahs Tat selbst, sondern die kalte Gleichgültigkeit, die darin lag, was Schallan so zu schaffen machte.
Sie fühlte sich noch immer wie betäubt, als sie Jasnah die Schlafrobe holte, während die Prinzessin ihre Juwelen auf dem Tisch ablegte. »Ihr hättet die anderen drei davonkommen lassen können«, sagte Schallan und ging mit der
Robe auf Jasnah zu, die Platz genommen hatte und sich die Haare kämmte. »Ihr hättet doch nur einen von ihnen töten müssen.«
»Nein«, sagte Jasnah.
»Warum nicht? Die anderen hätten dann zu viel Angst gehabt, um so etwas noch einmal zu tun.«
»Das kannst du nicht wissen. Ich wollte unbedingt, dass diese Männer verschwinden . Eine unbedarfte Thekenfrau, die den falschen Weg nach Hause nimmt, kann sich nicht schützen, aber ich kann es. Und ich werde es immer wieder tun.«
»Ihr habt aber gar nicht die Befugnis, so etwas zu tun – nicht in einer fremden Stadt.«
»Das ist wahr«, gestand Jasnah ein. »Ich vermute, dass ich darüber noch einmal nachdenken muss.« Sie hob die Bürste und wandte sich von Schallan ab. Dann schloss sie die Augen, als ob sie Schallan aus ihrer Welt ausschließen wollte.
Es werden Zeiten kommen, in denen du Entscheidungen treffen musst, die dir den Magen umdrehen werden, Schallan Davar …
Sie sind auch zuvor schon einmal da gewesen.
Und sie sind jetzt gekommen.
Wie hatte Jasnah es wagen können, so etwas zu tun? Und wie hatte sie Schallan zwingen können, daran teilzunehmen? Wie konnte sie etwas so Wundervolles und Heiliges wie einen Seelengießer zu einer solchen Vernichtung einsetzen?
Jasnah hatte es nicht verdient, ihn zu besitzen.
Mit einer raschen Handbewegung klemmte sich Schallan die gefaltete Robe unter den Schutzarm, steckte dann die Hand in die Schutztasche und holte den unbeschädigten Rauchstein aus dem Seelengießer ihres Vaters heraus. Sie trat an den Ankleidetisch, nutzte die Bewegung, mit der sie die Robe darauf legte, als Schutz und tauschte ihren eigenen Seelengießer gegen den funktionsfähigen ein. Sie schob ihn in ihre Schutzhand unter dem Ärmel und machte einen Schritt zurück, als Jasnah die Augen wieder öffnete und die Robe betrachtete,
die unschuldig neben dem beschädigten Seelengießer lag.
Schallan wagte kaum zu atmen.
Wieder schloss Jasnah die Augen und hielt Schallan die Bürste entgegen. »Fünfzig Striche heute Abend, Schallan. Es war ein anstrengender Tag.«
Schallan machte die eingeübten Bewegungen und bürstete die Haare ihrer Meisterin, während sie mit der verborgenen Schutzhand den gestohlenen Seelengießer festhielt und voller Angst befürchtete, Jasnah könnte den Tausch bemerken.
Aber sie bemerkte ihn nicht. Nicht, als sie die Robe anzog, und auch nicht, als sie den beschädigten Seelengießer in ihre Juwelenschatulle legte und diese mit jenem Schlüssel zusperrte, den sie nachts an einer Kette um den Hals trug.
Verblüfft und aufgerührt verließ Schallan das Zimmer. Sie war erschöpft, verwirrt, und fühlte sich elend.
Aber ihre Tat war nicht entdeckt worden.
SCHLUSSBEMERKUNG
»Über dem Schweigen die erleuchtenden Stürme – die sterbenden Stürme – erleuchten das Schweigen darüber.«
Dieses Beispiel ist bemerkenswert, da es sich um ein Ketek handelt, eine komplexe Form eines heiligen Vorin-Gedichtes. Das Ketek kann nicht nur von vorn nach hinten und von hinten nach vorn gelesen werden (mit kleinen Abwandlungen, die von der Grammatik vorgegeben werden), sondern ist auch in fünf deutlich voneinander getrennte kleinere Abschnitte unterteilbar, von denen jeder einen vollständigen Gedanken wiedergibt.
Das vollständige Gedicht muss einen Satz ergeben, der grammatikalisch korrekt und (theoretisch) von tiefer Bedeutung ist. Wegen der Schwierigkeiten, ein Ketek zu schaffen, wurde es als die höchste und beeindruckendste Form der Vorin-Lyrik angesehen.
Von besonderer Bedeutung ist die Tatsache, dass dieses Ketek von einem ungebildeten, sterbenden Herdazianer in einer Sprache wiedergegeben wurde, die er kaum beherrschte. Nirgendwo in der niedergeschriebenen Vorin-Lyrik ist dieses Ketek verzeichnet, und daher ist es sehr unwahrscheinlich, dass die Person nur etwas wiederholt hat, das sie irgendwo gehört hat. Keiner der Feuerer, dem wir es gezeigt haben, wusste etwas darüber, aber drei lobten die Struktur und baten, mit dem Dichter sprechen zu dürfen.
Wir überlassen es dem Verstand Seiner Majestät, an einem starken Tag herauszufinden, warum die Stürme wichtig sind
und was
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