Der Weg des Falken (Literatur-Literatur) (German Edition)
Mittlerweile bergen nicht einmal ihre Flugzeuge noch Schrecken für uns. All das wissen wir, doch jetzt werde ich euch Dinge sagen, die ihr nicht wisst.«
Jetzt hatte er die ungeteilte Aufmerksamkeit seiner Handvoll Zuhörer.
»Ja,
sardar
. Dies musst du wissen. Letzte Woche traf ich einen Belutschen, der in der Nähe des großen Salzsees im Norden Kohle brennt. Er erzählte mir, dass die Behörden während unserer Abwesenheit von zu Hause unsere Familien gefangen genommen haben. Sie – unsere Frauen und Kinder – und selbst entfernte Verwandte von uns leben jetzt im Gefängnis. In der Wüste geboren und aufgewachsen, wohnen und schlafen sie jetzt in übelriechenden dunklen Räumen in der Stadt.«
Ein Raunen ging durch die Gruppe von Männern.
»Ja«, fuhr Jangu fort. »Unser
sardar
hat recht mit dem, was er sagte. Die Männer, die das taten, stehen vor ihrem eigenen Gewissen als strahlende Helden da.« Er schwieg kurz und fuhr dann wieder fort.
»Doch ich hörte auch etwas anderes, was ihr nicht wisst. Derselbe Belutsche erzählte mir, dass die Beamten uns sicheres Geleit angeboten haben, damit wir mit ihnen Verhandlungen führen und dadurch unseren Streit beilegen können.«
Jangu zog ein schmutziges bedrucktes Blatt Papier aus seinem Hemd hervor und faltete es vorsichtig auseinander. »Auf diesem Papier steht die Einladung und das sichere Geleit. Kopien davon sind an viele Leute verschickt worden.«
Keiner der Männer konnte lesen oder schreiben, aber jeder betrachtete das Papier gründlich und mit scheinbarer Aufmerksamkeit, bevor er es an seinen Nachbarn weitergab.
Der Junge hatte nach dem Essen unruhig geschlafen. Als das Gespräch sich zum Ende neigte, wachte er auf und hörte noch, wie die Männer beschlossen, zum Hauptquartier der Regierung zu ziehen, um die Bedingungen des sicheren Geleits zu besprechen. Sie waren sich darin einig geworden, dass ihre Bereitschaft zu Gesprächen ihrer Ehre in keiner Weise Abbruch tun würde.
Am Abend des dritten Tages führten die Belutschen ihre Kamele in die Stadt. Der Junge, der keine Schuhe besaß, blieb auf einem der Tiere sitzen. Sie hielten vor dem ersten großen Gebäude, das sie sahen. Was sie für einen Palast hielten, war tatsächlich das örtliche Postamt.
Jangu stieg die Treppe hinauf und zeigte dem Mann, der vor dem Eingang stand, das abgegriffene Flugblatt.
»Lies das – wir sind wegen der Gespräche gekommen.«
Der Postmeister las das Blatt aufmerksam durch. Er sah die Männer mit aufgeregter Miene an. Während er zum Telefon eilte, schaute er zurück und rief: »Wartet auf die Beamten! Sie werden bald hier sein.«
Die sieben Männer, der Junge und die Tiere wurden zu einem großen Haus geführt. Die nächsten zwei Tage lang bekamen sie zwar zu essen, doch niemand kam, um mit ihnen zu sprechen. Sie alle waren ungeduldig wegen dieser Verzögerung, aber jeder achtete darauf, seinen Gemütszustand vor den anderen zu verbergen.
Die allgegenwärtige Stille ihres Landes hatte die Menschen ihres Volkes gelehrt, in ihrem Handeln bedächtig zu sein und langsam in ihren Reaktionen auf innere Regungen. Wohl beobachteten sie, dass ein Trupp Soldaten um das Haus herum postiert worden war. Doch selbst darüber vermieden sie miteinander zu sprechen – und erst recht, Roza Khan davon Mitteilung zu machen. Am fünften Tag erschienen endlich Besucher, die einen Jeep für sie dabeihatten. Die Belutschen wurden aufgefordert, ihre Gewehre und Kamele dazulassen. Sie fuhren eine Zeitlang, bis das Automobil ein von dicken Lehmmauern umgebenes Gelände erreichte. Der Jeep hielt vor einem der Gebäude, die sich dort befanden.
Der Raum, den sie betraten, war voller Menschen. Manche saßen auf Stühlen und manche auf Bänken. Die Leute redeten miteinander, und das Gespräch hörte auch nicht auf, als sie hereinkamen. Die Männer begaben sich in einen Teil des Raumes, der leer war, zogen die Schuhe aus und machten Anstalten, sich auf dem Fußboden niederzulassen.
Sie wurden barsch aufgefordert, stehen zu bleiben. »Es ist eine seltsame Sitte dieser Menschen«, dachten sie bei sich, »dass ein Teil steht und die anderen sitzen.« Sie wurden aufgefordert, auf den Koran zu schwören, dass sie nichts als die Wahrheit sagen würden. Dies machte sie noch perplexer. »Sie schwören bei einem Buch, während wir bei unserem Häuptling schwören – dem
sardar
unseres Stammes.«
Die ganze Zeit blieb die Luft um sie herum dick von Reden und Gelächter.
Dann wurden ihnen
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