Der Weg des Feuers
vor der Schöpfung von Himmel und Erde – dann können wir erneut die Gegensätze versöhnen, die rote und die weiße Krone vereinen, Horus und Seth verbrüdern. Die Gottheiten, die Gerechten, der Pharao und die Menschen bilden dann eine Einheit, der allein Osiris dank Maats Gesetz Zusammenhalt schenken kann. Fehlt auch nur einer dieser Bausteine, stürzt das ganze Gebäude unweigerlich ein.«
»Bleibt nicht das Heilige das wichtigste Bindeglied?«
»Das Heilige trennt das Wesentliche vom Überflüssigen, erleuchtet den Weg, macht ihn gangbar und löst Trugbilder und Nebel auf. Nur über die Opfergaben durchdringt der himmlische Einklang die menschliche Gesellschaft. Daraus schöpft sie die unerlässlichen Urstoffe und nährt die Seele von Osiris.«
»Majestät, glaubt Ihr, dass ich eines Tages würdig sein werde, diese Mysterien kennen zu lernen?«
»Diese Entscheidung liegt ganz bei dir und richtet sich nach deinen Taten. Wenn es so weit ist, ruft dich Osiris. Hier ist dein neues Amtssiegel, das für Macht und Gefahr steht. Verwende es nur mit Bedacht.«
Sesostris reichte Iker einen Siegelring mit seinem Namen und seinem Titel.
Zum ersten Mal wurde sich Iker seiner Verpflichtung bewusst. Er war nicht länger ein trotziger und abenteuerlustiger junger Mann, sondern ein Vertreter des Pharaonentums, ohne das die Zwei Länder in Chaos und Rechtlosigkeit versinken würden.
»Majestät…?«
»Niemand ist solch eines Amtes würdig. Trotzdem muss man es auf sich nehmen. Die große Schlange von der Insel des ka konnte ihre Welt nicht retten, sie ging in Flammen auf. Memphis hätte beinahe das gleiche Schicksal erfahren, aber es hat überlebt. Wir werden Ägypten nicht dem Propheten ausliefern.«
Iker betrachtete das Schmuckstück, das anders aussah als das Siegel des Königlichen Sohns, das zu benützen er nie gewagt hatte. Erst mit diesem und keinen Tag früher begann er das ganze Ausmaß seiner Verantwortung zu erahnen.
»Nimm an Nesmontus Kriegsrat teil«, befahl ihm der König,
»und zögere nicht, das Wort zu ergreifen. Vorher musst du aber noch in den Hafen. Man erwartet dich dort.«
Das Schiff nach Abydos war dabei, den Anker zu lichten. In einem langen grünen Kleid stand Isis am Ufer und betrachtete den Fluss.
Da Nordwind und Fang vorausgelaufen waren, konnte Iker nicht unbemerkt bleiben. Als der Esel von der jungen Frau gestreichelt wurde, bettelte der Hund um die gleiche Gunst. Trotz der Größe des Hundes und seines beeindruckenden Gebisses hatte die Priesterin offenbar keine Angst vor ihm.
»Fang hat Euch angenommen«, stellte Iker überrascht fest.
»Im syrischen Palästina wurde er mein Wächter und Beschützer. Ich musste ohne ihn fliehen, aber er hat mich wiedergefunden. «
»Nordwind scheint seine Gesellschaft zu schätzen.«
»Sie sind sogar Freunde geworden. Ihr… Ihr verlasst die Hauptstadt?«
»Ja, ich muss zurück nach Abydos. Ich habe immer gewusst, dass Ihr diese schwierige Aufgabe überleben würdet.«
»Aber einzig und allein durch Eure Hilfe, Isis. Als ich vollkommen verzweifelt und hoffnungslos war, seid Ihr mir erschienen. Nur Euch habe ich es zu verdanken, dass ich die Ausweglosigkeit überwinden und nach Ägypten zurückkehren konnte.«
»Ich glaube, Ihr schreibt mir zu viel Macht zu, Iker.«
»Seid Ihr denn nicht eine Magierin aus Abydos? Ohne Eure Hilfe und ohne Eure schützenden Gedanken wäre ich gestorben. Wie kann ich Euch nur von meiner Aufrichtigkeit überzeugen und mich Euer würdig erweisen? Der König hat mich gelehrt und mir dabei die Augen für die Pflichten eines Königlichen Sohns geöffnet: Er soll seinen Geist mit gerechten Gedanken füllen, zurückhaltend sein, die Bedeutung der Worte anerkennen, seine Angst besiegen, auch unter Einsatz seines Lebens der Wahrheit dienen, entschlossenen Willen zeigen, sich nicht der Begierde hingeben, die Wahrnehmung des Unsichtbaren fortführen… All diese Fähigkeiten besitze ich nicht, aber ich liebe Euch.«
»Nach Euren Heldentaten steht Euch eine glänzende Laufbahn bevor. Ich bin nur eine Priesterin, die sich danach sehnt, Abydos nicht mehr verlassen zu müssen.«
»Mein einziges Sinnen und Streben ist es, in Eurer Nähe zu leben.«
»Hat denn in diesen schwierigen Zeiten, in denen es um die Zukunft unserer Kultur geht, Liebe überhaupt noch einen Sinn?«
»Ich biete Euch meine Liebe an, Isis. Wenn Ihr sie teilt, würde sie uns dann nicht beide dem Feind gegenüber stärker machen?«
»Worin besteht denn
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