Der Weg des Unsterblichen
schon, was du hier willst.”
“Gut, ertappt, ich wollte wissen, ob das Geflügel dich schon gefangen genommen und in die Folterkammer geschleppt hat.” Er wiegte den Kopf. “Scheinbar nicht. Es ist fast enttäuschend.”
“Entschuldige bitte.”, knurrte ich aufgebracht.
“Oh, natürlich bin ich froh, dass es dir gut geht.” Azriel lachte trocken. “Ich finde eherenttäuschend, dass wir uns seit zehn Jahren kennen und sie immer noch nichts mitbekommen haben. Wie gut können eure tollen Beschützer also schon sein?”
Ich warf einen unsicheren Blick zum Haus und sah ihn dann wieder an. “Du musst verschwinden, hier ist es nicht sicher. Du hast Lian doch gehört!”
“Was du nicht sagst. Ich habe keine Angst vor Unsterblichen, die sich als Engel bezeichnen lassen und doch nicht mehr als etwas länger lebende Menschen sind.” Er verschränkte die Arme und begann, vor und zurück zu schaukeln. “Aber ich muss zugeben, dass sie mir mit ihrem Kontrollwahn langsam auf den Keks gehen. Ich überlege momentan, ob es vielleicht doch eine gute Idee wäre, erst mal abzuhauen und in hundert oder zweihundert Jahren wiederzukommen, wenn die Situation sich einigermaßen beruhigt hat.”
“Dann bin ich tot.” Ich erschrak selbst darüber, dass ich so etwas sagte.
Azriel grinste. “Wenn eure Medizin bis dahin nicht ziemlich fortgeschritten ist, wahrscheinlichja. Aber keine Angst…ich finde schon jemand anderes, der mir Cheeseburger macht.”
“Noéeeeee, wie lange brauchst du denn noch? Das Essen wird kalt!”
Malu stürmte nach draußen, stockte aber, als sie Azriel erblickte. Stumm sah sie zwischen uns hin und her, keine Angst, kein Entsetzen in den Augen. Dann drehte sie sich wortlos um und rannte ins Haus zurück.
“Sie wird sich niemals an meinen Anblick gewöhnen.”, stellte Azriel fest, nicht ohne einen deutlich hörbaren Anflug von Belustigung in der Stimme.
“Immerhin hält sie seit zwei Jahren die Klappe, und das muss man ihr bei ihrem Plappermaul wirklich hoch anrechnen.” Ich sah ihn an. “Hau endlich ab, ich komme zu dir, wenn ich mehr weiß und dann reden wir, ok?”
“Meinetwegen.” Und mit meinem nächsten Augenzwinkern war er verschwunden.
Ich traf meine Schwester auf dem Gang vor der Küche, wo sie mir einen nicht deutbaren Blick zuwarf. Nein, sie hatte keine Angst vor dem Dämon.
“Noé, du solltest dich nicht mehr mit ihm treffen, wirklich nicht.” Ihre Stimme war leise, denn sie wollte nicht, dass meine Mutter etwas mitbekam.
“Ich weiß.”, flüsterte ich zurück und seufzte. “Vielleicht hat sich das bald von selbst erledigt.”
“Pass auf, dass die Engel das nicht für dich erledigen.”, sagte Malu in einem Ton, den ich einem Mädchen in ihrem Alter nicht zugetraut hätte. Dabei sah sie so ernst aus, wie ich sie selten erlebt hatte. Mir fiel nichts mehr ein, was ich dazu hätte sagen können.
“Lass uns essen gehen.”
4
“Das kann doch nicht ihr verdammter Ernst sein!”, fluchte Monja und schlug die Tür des Biologielabors auf, sodass diese fast aus den Angeln flog. Sie stapfte als Erste unserer Klasse auf den zitronengelb gestrichenen Gang hinaus, die goldenen Haare, die sie heute zu einem hohen Zopf gebunden hatte, standen dank ihrer Wut in alle Richtungen ab. Ich ging ihr langsam nach, den Ordner an meine Brust gepresst, und ließ erst einmal den Rest meiner Klasse an uns vorbei. Kaum war der Gang leer und die Tür des Bioraumes wieder geschlossen, stöhnte Monja auf und trat mit den schönen, neuen Wildleder-Stiefeletten gegen den Spind ihr gegenüber. “So eine Scheiße!”, brüllte sie dabei aufgebracht.
Ich zuckte zusammen und hob beschwichtigend eine Hand. “Nicht so laut, sonst darfst du wieder den Nachmittag beim Direktor verbringen.” Langsam trat ich an sie heran und konnte ihr rot erhitztes Gesicht sehen. “Soschlimm kann es doch gar nicht gewesen sein, oder?”
“Nicht so schlimm!?” Monja spuckte die Worte aus, als wären sie etwas Ekliges. “Ich habe mir den Stoff von letzter Stunde nicht einmal durchgelesen und der schreibt eine unangekündigte Arbeit! Oh Gott, das wird eine glatte Sechs, mein Vater wird mich umbringen oder – noch schlimmer - mir den Geldhahn zudrehen. Das überlebe ich nicht!” Ihre grauen Augen flogen zu mir und sie begann, an der Unterlippe zu knabbern. “Meinst du, dass ich ihn … naja … dazu überreden kann, mir eine bessere Note zu geben?” Sie hob eine Augenbraue und lächelte mich verführerisch
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