Der Weg in Die Schatten
meinst, ermordet?«
»Eher abgeschlachtet, Herr.«
»Wer ist ermordet worden, Soldat?«
»Herr. Sie alle.«
43
Der König zappelte auf seinem Thron herum. Der Thron war ein gewaltiges Stück aus Elfenbein und Horn mit goldenen Intarsien, und er wirkte darauf wie ein Junge. Der Audienzsaal war heute leer, bis auf die regulären Wachen, zusätzliche Wachen, die an den geheimen Ausgängen des Raums postiert waren, und
Durzo Blint. Die Leere ließ den Saal höhlenartig erscheinen. Banner und Wandbehänge schmückten die Wände, konnten jedoch nichts gegen die ewige Kälte eines so großen, steinernen Raums ausrichten. Sieben Säulenpaare hielten die hohe Decke, und zwei Treppen mit jeweils sieben Stufen führten zum Thron empor.
Durzo stand still da und wartete darauf, dass der König das Gespräch begann. Er hatte bereits einen Schlachtplan, falls es zum Äußersten kommen sollte. Es war ihm zur zweiten Natur geworden. Der Meister, der neben dem König stand, würde als Erster sterben müssen, dann die beiden Wachen, die den Thron flankierten, und schließlich der König selbst. Mit seiner magischen Gabe konnte er wahrscheinlich vom Thron zum Gang darüber springen, der gegenwärtig hinter einem Banner verborgen war. Er würde den Bogenschützen darin töten, und von dort aus würde man ihm nicht mehr folgen können.
Wie alle Schlachtpläne würde er nur bis zum ersten Schritt reichen, aber es war immer nützlich, einen allgemeinen Plan zu haben, vor allem wenn man keine Ahnung hatte, was die Feinde wussten. Durzo ertappte sich dabei, dass er in seinen Knoblauchbeutel greifen wollte, zwang sich jedoch, es nicht zu tun. Dies war nicht der Zeitpunkt, um Nerven zu zeigen. Es fiel ihm schwerer, seine Hand still zu halten, als er gedacht hätte; etwas an der Schärfe des Knoblauchs war beruhigend, wenn er unter Druck stand.
»Ihr habt meinen Jungen sterben lassen«, sagte der König und erhob sich. »Sie haben gestern Nacht meinen Jungen getötet, und Ihr habt nichts getan!«
»Ich bin kein Leibwächter.«
Der König entriss dem Wachmann hinter sich einen Speer und warf ihn. Durzo war überrascht, wie gut der Wurf war.
Wäre er still stehen geblieben, hätte der Speer ihn am Brustbein getroffen.
Aber er blieb natürlich nicht still stehen. Er lehnte sich mit lässiger - und wie er hoffte, aufreizender - Leichtigkeit zur Seite, ohne auch nur die Füße zu bewegen.
Der Speer prallte vom Boden ab und machte dann ein zischendes Geräusch, als Holz und Stahl über Stein schlitterten. Man konnte das Klappern von Rüstungen hören und das Wispern von Pfeilen, die überall entlang der Wände des Raums an die Bogensehnen gelegt wurden, aber die Wachen griffen nicht an.
»Ihr seid gar nichts, bis ich es sage!«, rief der König. Er stolzierte vom Thron sieben Doppelstufen herab und trat vor Durzo hin. Taktisch gesehen ein schlechter Zug. Jetzt blockierte er die Pfeile von mindestens drei der Bogenschützen. »Ihr seid... Ihr seid Scheiße! Ihr scheißiger, scheißiger Scheißkerl!«
»Euer Majestät«, sagte Durzo ernst. »Der Wortschatz an Flüchen, über den ein Mann von Eurer Stellung gebietet, sollte über eine ermüdende Aneinanderreihung der Exkremente hinausgehen, die die Leere zwischen seinen Ohren füllen.«
Der König wirkte für einen Moment verwirrt. Die Wachen sahen einander entsetzt an. Der König fing den Blick auf und begriff, dass er beleidigt worden war. Er schlug Durzo mit dem Handrücken ins Gesicht, und Durzo ließ es zu. Jede schnelle Bewegung, die er jetzt machte, könnte einen nervösen Bogenschützen dazu bringen, seinen Pfeil abzuschießen.
Der König trug Ringe an allen Fingern, und zwei davon gruben Furchen in Durzos Wange.
Durzo biss die Zähne zusammen, um den auf keimenden, schwarzen Zorn zu ersticken. Er atmete einmal tief durch, dann noch einmal. Schließlich sagte er: »Der einzige Grund, warum
Ihr jetzt noch lebt, ist nicht der, dass ich nicht bereit wäre, mein Leben gegen Eures einzutauschen, Aleine. Es wäre mir grässlich, von Amateuren getötet zu werden. Aber wisset dies: Solltet Ihr jemals wieder Hand an mich legen, werdet Ihr weniger als eine Sekunde später tot sein. Euer Majestät.«
König Aleine Gunder IX. hob die Hand und erwog ernsthaft, zum verstorbenen König Aleine Gunder IX. zu werden. Er ließ die Hand sinken, doch ein triumphierendes Leuchten stand in seinen Augen. »Ich werde Euch noch nicht töten lassen, Durzo. Ich werde Euch nicht töten lassen, weil ich
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