Der Weg in Die Schatten
wahrzunehmen.
Endlich sah er Devon in dem Wandschrank auf der gegenüberliegenden Seite des beinahe runden Gemachs verschwinden. Kylar schlich in den Raum und hielt nach einem Versteck Ausschau. Seine Füße machten kein Geräusch, nicht einmal das Geräusch von Leder, das über Stein strich. Master Blint hatte Kylar gelehrt, wie man den Saft des Gummibaums kochte, um eine Schuhsohle herzustellen, die weich und lautlos war. Es war teuer, den Saft ins Land einzuführen, aber auf den Sohlen ging es sich leiser als auf gut verarbeitetem Leder, und für Master Blint zählte selbst der kleinste Unterschied. Das war der Grund, warum er der Beste war.
Es gab keine guten Stellen, um sich zu verstecken. Eine großartige Stelle, um sich zu verstecken, war eine, von der aus Kylar in der Lage sein würde, den ganzen Raum zu überblicken, seine Waffen bereitzuhalten und sich sehr schnell zu bewegen, sei es um zuzuschlagen oder um zu fliehen. Eine gute Stelle, um sich
zu verstecken, ermöglichte einen anständigen Überblick und die Möglichkeit, mit nur geringfügigen Schwierigkeiten zuzuschlagen oder zu fliehen. Dieser Raum hatte keine dunklen Ecken. Er stellte praktisch einen Kreis dar. Es gab Wandschirme aus Reispapier, aber sie waren zusammengefaltet und lehnten an der Wand. Unglückseligerweise gab es tatsächlich nur eine einzige Stelle, an der er sich verstecken konnte: unter dem Bett. Wenn Kylar ein Blutjunge gewesen wäre, wäre er vielleicht eine Wand hinaufgeklettert und hätte sich von den Ketten des Kronleuchters geschwungen, aber das kam nicht infrage.
Unterm Bett? Das werde ich noch ewig von Master Blint zu hören bekommen.
Aber eine andere Möglichkeit gab es nicht. Kylar legte sich flach auf Zehen und Fingerspitzen und kroch unter das Bett. Es war gut, dass er noch immer schlank war, denn es war dort nicht viel Platz. Er lag unbequem auf dem Boden, als er jemanden die Treppe herauf kommen hörte.
Der Wachposten. Endlich. Jetzt sieh dich schnell um und mach, dass du wegkommst.
Er hatte die Seite des Bettes ausgesucht, die einen Blick auf den Wandschrank bot, und das bedeutete, dass er die Treppe nicht sehen konnte, aber nach dem Klang der Schritte zu urteilen, war er sich bald sicher, dass dies kein Wachposten war. Devon trat mit einer Truhe aus dem Wandschrank, und ein Ausdruck schlechten Gewissens legte sich über seine Züge.
»Du darfst nicht hier sein, Bev«, sagte er.
»Du gehst fort«, erwiderte die unsichtbare Frau. Es war eine Anklage.
»Nein«, sagte er. Sein Auge begann zu zucken.
»Du hast sie bestohlen, und jetzt bestiehlst du den König, und aus irgendeinem Grund überrascht es mich, dass du mich
belügst. Du Mistkerl.« Kylar hörte, dass sie sich umdrehte, dann trat Devon dicht ans Bett heran und stellte die Truhe darauf, wobei seine Beine nur wenige Zoll von Kylar entfernt waren.
»Bev, es tut mir leid.« Er bewegte sich auf die Tür zu, und Kylar geriet in Panik. Was war, wenn Devon ihr folgte und sie die Treppe hinunterging? Kylar würde sie beide auf der Treppe töten müssen, und das in dem Wissen, dass der Wachposten jeden Augenblick vorbeikommen würde. »Bev, bitte...«
»Geh zur Hölle!«, sagte sie und schlug die Tür zu.
Wunsch erfüllt. Es war die schwärzeste Art von Humor, Durzos Art von Humor. Er sagte gern, dass die Ironie belauschter Gespräche einer der besten Nebengewinne des bitteren Geschäftes sei, obwohl er meinte, dass die Weisheit letzter Worte ungemein überschätzt wurde. Wunsch erfüllt? Es gefiel Kylar nicht, dass ihm dieser Gedanke überhaupt gekommen war. Alles, was dieser Mann geplant hatte, würde in Kürze enden, und Kylar grinste darüber.
Devon fluchte vor sich hin, aber er folgte der Frau nicht. »Wo ist überhaupt dieser Wachmann? Er hätte mittlerweile hier sein müssen.«
Genauso war es, hatte Durzo Kylar erklärt. Du kommst am Ende eines Dramas dazu - ob es gerade erst begonnen hat oder seit Jahren im Gange ist, deine Ankunft signalisiert das Ende -, und du erfährst nur selten, worum es sich bei der Geschichte dreht. Was bedeutete Bev Devon? War sie seine Geliebte? Seine Komplizin? Nur eine Freundin? Seine Schwester?
Kylar wusste es nicht. Er würde es nie erfahren.
Auf der Treppe erklang ein Klingeln, gedämpft durch die Tür. Devon nahm sein Rechnungsbuch auf. Die Tür wurde geöffnet.
»Hallo Dev«, sagte der Wachposten.
»Oh, hallo Gamble.« Devon klang nervös.
»Hat dieser Kurier Euch gefunden?«
»Kurier?«
»Der kleine
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