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Der Weg in die Verbannung

Der Weg in die Verbannung

Titel: Der Weg in die Verbannung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Aufgabe für einen Jäger! Waffen waren seine Arbeitswerkzeuge.
    Die Steine hatten nicht alle die gewünschte Form für Pfeilspitzen. Harka begann einige aufzusplittern. Der Steine kundig, erkannte er, wie ein Stein »gewachsen« und welches die möglichen Bruchstellen waren, und er bearbeitete einen mit dem anderen. Das hatte ihn der Vater schon früh gelehrt.
    Der ganze Tag und auch der folgende gingen mit der Waffenherstellung hin. Schließlich war es soweit, daß die beiden Indianer je mit Messer, Speer und mit Pfeil und Bogen ausgerüstet waren. Knochen und Abfälle waren übrig. Mattotaupa griff spielend danach und begann zu schnitzen. Mit Verwunderung sah Harka eine kleine Figur entstehen; sie glich einem Adler. Der Adler war am frühen Morgen wieder über die Bergeshöhen geschwebt.
    »Das nächste ist«, sagte Mattotaupa, »daß wir uns hier ein Erdloch als Unterschlupf graben. Es wird nicht immer die Sonne scheinen. Heute fangen wir zusammen an. Morgen machst du allein weiter, und ich gehe wieder jagen.«
    »Den Adler?«
    »Nein, nicht den Adler. Er hat schöne Federn, aber wenig Fleisch. Wir brauchen noch mehr Fleisch, damit wir nicht zuviel hungrige Tage erleben. An die Federn denken wir später ­ oder bei Gelegenheit.«
    Die beiden suchten sich am Südhang eine günstige Stelle für das geplante Erdloch. Gegen Norden schützten die Höhen. Eine Felsrippe trat ein wenig in den Südhang der Wiese vor und gab auch Schutz gegen Westen. In der Ecke zwischen diesem Felsen und dem weiter ansteigenden Hang begannen die beiden zu graben. Rechtes Werkzeug hatten sie nicht dazu. Aber Steine und auch die Geweihstangen genügten, um die Grasnarbe zu heben und tiefer zu graben.
    Am nächsten Tag arbeitete Harka, wie vorgesehen, allein. Die Grube war schon tief genug, um sich hineinzusetzen, aber er wollte sich auch ausstrecken können und grub weiter. Schließlich stieß er wieder auf Fels. Aber die Grube schien ihm auch schon groß und tief genug. Die Seitenwände flachte der Junge ab und belegte sie mit Steinen, die er herbeischleppte. Das schwierigste Problem war, die Grube zu decken. Vorläufig spannte er die Büffelhautdecke über den oberen Teil, von der Felsrippe bis zum Hang.
    Dann setzte er sich in die neue Behausung, ruhte sich aus, und zum erstenmal fielen ihm dabei seine Freunde und Spielgefährten bei den Zelten der Bärenbande wieder ein: der jüngere Bruder Harpstennah, sein älterer Freund Tschetan, der lustige Schwarzhaut Kraushaar, der mit seinem Vater der Sklaverei bei den weißen Männern entflohen war, und die ganze Knabenschar vom Bund der Jungen Hunde, die Harka Steinhart Nachtauge Wolfstöter Büffelpfeilversender Bärenjäger angeführt hätte. So viele Namen hatte der Sohn des Häuptlings von den Gefährten schon erhalten. Wie sie ihn jetzt wohl nennen würden? Ob überhaupt noch einer von ihm zu sprechen wagte? Und wenn sie schwiegen, weil sie alle Angst vor dem Zaubermann hatten, wer dachte wenigstens noch an ihn? Hier oben in den Bergen, in diesem kleinen Tal, bei der Grube hätten sie alle zusammen einige Tage hausen und herrlich spielen können.
    Harka brach diesen Gedankengang ab und schaute in die Höhe, wo der Adler wieder kreiste. Die Beharrlichkeit, mit der der große Raubvogel immer wieder über dem kleinen Hochtal schwebte, fiel dem Jungen allmählich auf. Gab es in der Nähe irgendeine Beute, die der Adler erspäht hatte und auf die er in einem günstigen Augenblick herabzustoßen gedachte? Oder wunderte er sich über die neu in sein Revier eingedrungenen Lebewesen, die beiden Pferde und die beiden Menschen? Es war ein rechtes Raubvogelrevier hier oben. Abseits von günstigen Wohnplätzen, abseits von Karawanenstraßen der Auswanderer, abseits von Eilpostwegen, abseits vom neu geplanten Schienenstrang lag das waldlose kleine Hochtal, kalt des Nachts und sicherlich eisig im Winter. Nur Schafe und Vögel hatten, den Spuren nach zu urteilen, seit dem Frühling Quelle und Wiese besucht. Vielleicht waren jetzt zum erstenmal Menschen hier eingedrungen.
    Harka betrachtete sein neues Messer. Der Vater mochte recht haben, wenn er meinte, daß die Klinge früher an einem anderen Griff gesessen und irgendeinem Indianer als Waffe gedient hatte. Jetzt war sie nur in den gespaltenen Holzgriff eingeklemmt und mit Bast befestigt, ein primitives, aber doch brauchbares Verfahren. Sie bestand nicht aus Feuerstein, sondern aus einer anderen Gesteinsart, war sehr hart und scharfkantig. Harka war

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