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Der Weg in die Verbannung

Der Weg in die Verbannung

Titel: Der Weg in die Verbannung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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ihn hin und her und prüfte die Kante als Schneide.
    »Das wird ein Messer, hau! Vielleicht war es sogar eines.« Er gab die Steinklinge dem Jungen zurück und erhob sich. »Ruhe du dich jetzt aus«, sagte er, »ich schneide uns Schäfte für Pfeile, Speer und Messer und suche Bast. Keulen will ich uns auch anfertigen.«
    Harka war mit allem einverstanden, besonders damit, daß er selbst jetzt rasten durfte. Er legte den Kopf auf die Arme und schaute dem Vater noch nach, aber bald fielen ihm die Augen zu, und er war eingeschlafen. Die letzten Tage hatten ihn überanstrengt.
    Als er aufwachte, saß der Vater wieder neben ihm. Harka mußte lange geschlafen haben, denn die Sonne war schon auf absteigender Bahn, und der Vater hatte unterdessen viel gearbeitet. Zwei Speerschäfte aus Eschenholz lagen bereit, das Holz zu zwei Bogen, eine Anzahl von Pfeilschäften und ein Messergriff. Bast hatte der Vater auch geschält. Die neuen Keulen ­ je ein eiergroßer Stein, am elastischen Griff aus Weidenholz befestigt ­ waren sogar schon fertig.
    »Das nehmen wir alles mit!« sagte Mattotaupa, als er bemerkte, daß Harka aufgewacht war.
    Der Junge nickte und bündelte mit Hilfe der Baststreifen die Schäfte zusammen, so daß er sie leichter tragen konnte. Die Steine steckte Mattotaupa ein. Jeder nahm seine Keule an sich. Dann begannen die beiden den weiteren beschwerlichen Aufstieg. Mattotaupa schleppte den Hirsch mit verbissener Anstrengung. Auch Harka hatte schwer zu tragen, lauter sperrige Dinge, die ihn behinderten, und er wünschte, er hätte seine Büchse nicht mitgenommen. Aber nun blieb ihm nichts anderes übrig, als auch diese wieder zurückzuschleppen.
    Es war schon späte Nacht, als die beiden endlich den Anfang des Felspfades erreichten, der zu ihrem Zufluchtsort führte. Auf Vorschlag des Vaters ging Harka voran, um zunächst einmal das Schaftbündel und die Büchse hinzubringen. Obgleich der Knabe sich sagte, daß während seiner und des Vaters Abwesenheit kaum etwas Unerwartetes geschehen sein könne, war er doch erleichtert, als er den Stein an der schmälsten Stelle unverrückt vorfand und bald auch der Pferde ansichtig wurde, die miteinander bei der Quelle standen und jetzt zu dem Jungen herankamen. Harka legte das Schaftbündel und die Büchse nieder, um schnell zum Vater zurückzukehren und das Geweih zu holen. Schließlich brachten die beiden mit vereinter Anstrengung auch den Hirschkörper im kleinen Tal in Sicherheit.
    Es war nicht mehr lange bis zum Morgengrauen. Der Vater und der Junge beschlossen, ihr Frühstück vorzuverlegen. Sie tranken durstig, dann häutete Mattotaupa einen Schlegel ab und schnitt zwei große Stücke heraus. Harka klopfte sie mit einem Stein weich und begann die neue Messerklinge auszuprobieren. Sie ließ sich noch schlecht fassen, aber sie schnitt gut, und er konnte sein Fleisch damit in Streifen teilen. Das übrige besorgten seine gesunden Zähne. Auch Mattotaupa aß hungrig, und als die beiden nach dem Essen noch einmal vom Quellwasser getrunken hatten, schliefen sie erschöpft und tief bis in den Mittag hinein.
    Beim Erwachen fühlten sie sich wie neue Menschen, denn sie konnten sofort mit der Arbeit beginnen. Mattotaupa häutete den Hirsch ganz ab, zerteilte ihn, schälte sich gleich die Sehnen für die beiden Bogen heraus, löste das Geweih vom Schädel und schabte Knochen ab, die er verarbeiten wollte. Harka mußte einen Teil des Fleisches in Streifen schneiden und zum Trocknen aufhängen, andere Stücke sollte er in das Hirschfell einschlagen und im Boden vergraben, damit ein Vorrat blieb. Er tat, wie ihm geheißen war, dachte aber im stillen daran, daß dies Weiberarbeit sei, die sonst die Großmutter und die Schwester verrichtet hatten. Das Bild Untschidas und Uinonahs war ihm in dieser Stunde wieder ganz gegenwärtig, aber nicht von soviel schmerzlicher Sehnsucht umflossen. Die Sonne schien hell, er war satt, und es regte sich in ihm die allgemeine Zuversicht des gesunden und kräftigen Menschen. Es mußte sich irgendein Weg finden, um dem Zeltdorf zu beweisen, daß Mattotaupa kein Verräter war, daß der Zaubermann ihn fälschlich angeklagt hatte. Als große Jäger und tapfere Krieger wollten Mattotaupa und Harka dann heimkehren und von den reumütigen Dorfgenossen empfangen werden.
    Harka schaute auf und beobachtete den Vater, wie er einen Bogen krümmte, die Sehne zog und knüpfte. Auch er sah heute frischer und froher aus. Sich neue Waffen zu schaffen, das war eine

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